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was sind wir gegen Ihn? Wollten wir es auf uns nehmen, nur einer einzigen Sünde Strafen abzubüßen, so würden zwar wir das nicht vermögen, aber die Strafe einer einzigen Sünde würde uns ewig unglückselig, ewig elend machen. Von alledem also, was Christus für uns gethan hat, können wir nichts thun, auch wenn es uns freistände, es selbst zu thun. Darum eben hat ER’s gethan, weil es keiner, ohne sich in die ewige Verdammnis, in namenlosen und bodenlosen Zorn des Allmächtigen zu stürzen, übernehmen könnte. Darin können wir Ihm nicht nachahmen, ER ist darin einzig und unnachahmlich, und eine Lästerung JEsu Christi ist es daher, wenn mancher alte Mann in den Leiden seiner alten Tage meint, seine Sünden abbüßen zu können, um dann nach vollbrachter Abbüßung in den Himmel zu kommen, und eine Verrücktheit, eine Vermessenheit, über welcher man beten muß: „Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“ ist es, wenn mancher am Rande des Grabes und vor den Thoren der Ewigkeit ausruft: „Gott gebe mir, was ich verdient habe!“ Solltest du leiden, was du verdient hast, so müßtest du der Hölle Leiden auf dich nehmen.


II.

 In manchen Dingen dürfen wir Christo nicht nachahmen; wir könnten wohl, aber wir dürfen nicht, weil wir sündigen würden. Es ist schon unter den Menschen eine gewöhnliche Rede: Wenn zwei eins und dasselbe thun, so ist es nicht mehr eins und dasselbe. Ein und dieselbe Handlung, welche zwei thun, ist bei dem einen ein Gott wohlgefälliges Werk, bei dem andern ein Sodomsapfel.

 Wenn z. B. zwei, ein jeder seine Habe den Armen giebt, der eine aus herzlicher, demütiger Liebe, der andere aus Leichtsinn oder Hochmut, so ist eine und dieselbe Handlung und Aufopferung dort eine Gnade vor Gott, hier eine Eingebung des Teufels. So viel kommt darauf an, wer der ist, der etwas thut. – Dies gilt im höchsten Grade bei manchen Dingen, in welchen die Menschen sich in frevelhafter und unehrerbietiger Weise auf Christum berufen und auf Sein Beispiel.