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nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu dem Niedrigen!“ Darin ist sie der Demut Christi ähnlich. In andern Punkten aber ist sie anders. Denn des Sünders Demut muß freilich eine andere sein, als die Demut des heiligen, unschuldigen und von den Sündern abgesonderten ewigen Hohenpriesters.

 2. Die Demut ist ein gerechtes, von Gottes Geist gelehrtes Urteil über eigenes wie über fremdes Verdienst. Dies gerechte Urteil spricht nämlich allen Menschen das Verdienst ab, und der Demütige hält weder sich, noch andere für gut, sondern er erkennt in sich und in andern nur Sünder und Lügner, unwerte, fluchbeladene Leute von Natur. Alle Demütigen haben dies zum ersten Grunde ihrer Einigkeit, daß sie alle voreinander eingestandene Sünder sind von Natur, daß sie voneinander und von ihrer Trefflichkeit nichts Gutes erwarten, daß sie im Gegenteil nichts als Böses voneinander erwarten, ohne daß sie durch so ausgesprochene Meinung böse werden aufeinander. Es ist ihnen Ernst mit dem Bekenntnis ihrer eigenen Bosheit, mehr, als mit dem der fremden, wenn da von mehr und wenig geredet werden soll. Sie sind klein in sich und erwarten auch von andern nichts Großes, sie sind in Demut auf jeden Tadel, wie auf alles Böse gefaßt, das ihnen von andern kommen könnte, denn sie wissen, was sie selbst sind.

 3. Die Demut ist ferner eine entschiedene, innige Anerkennung des alleinigen Verdienstes Christi. Gleichwie der Demütige in sich und andern nur Verderben sieht, so erkennt er in Christo JEsu nur Verdienst. Er leugnet standhaft allen Menschen das Gute ab und schreibt es dem zu, der für ihn gestorben ist. Wären die Demütigen allein einig über ihre eigene Nichtigkeit und Nichtswürdigkeit, so wäre die Demut eine traurige Einigkeit, aber weil sie auch einig sind, daß JEsus Christus aus der Fülle Seines Verdienstes alle armen Sünder reich mache, weil sie alle an die in Ihm geoffenbarte Gnade Gottes glauben, weil sie alle die Zuversicht haben, daß sie in Ihm Leben, Gerechtigkeit, Seligkeit, volles Genüge haben, weil sie ebenso einig sind, Ihn zu preisen, als sich im Elend zu erkennen, weil ER ebenso von ihnen geachtet ist, wie ein