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sterben. Sie macht den Kleinsten groß und den Größten klein. Sie war es, die einst vor 1500 Jahren 10000 Seelen Mut gab, sich in der Kirche zu Nicomedien verbrennen zu lassen, nur damit sie der Schmach entgingen, einem fremden Gott eine Ehre anzuthun, außer dem lebendigen Gott! – Sie will nichts, als daß Gottes Name geheiligt werde, Sein Reich komme, Sein Wille geschehe, und danach trachtet sie festiglich in Not und bis in den Tod.

 6. Die Demut ist ferner die Wurzel des Christentums, mit welcher es nicht auf Erden, nicht im eigenen Verdienste, sondern im Verdienste JEsu allein, im Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit und Gnade gründet. Sie kann singen:

„Ich habe nun den Grund gefunden,
Der meinen Anker ewig hält.
Wo anders als in JEsu Wunden,
Da lag er vor der Zeit der Welt,
Der Grund, der unbeweglich steht,
Wenn Erd’ und Himmel untergeht!“

 Sie wird nie entwurzelt werden, weil sie in der Gnade wurzelt. Demütiges Christentum bleibt stehen in die Ewigkeit der Ewigkeiten. Sie ist es, die alle Thaten eines Christen mit dem Hauche himmlischer Abkunft segnet, durch welchen sie von aller andern Menschen Thaten unterschieden sind. Sie ist die Krone aller Tugenden, die alle andern Tugenden zu Tugenden krönt, ohne welche alle Tugenden nur glänzende Laster, alle Christen nur scheinheilige Heuchler, nur zugedeckte Modergräber sind. Sie ist der Segen des HErrn, der die Hohen vom Stuhle stürzt und erhebt, die da niedrig sind und arm in ihres Herzens Sinn. Sie ist wie eine Schamröte des in Gott erfreuten, begnadigten Sünders, ja, sie ist die Liebe selbst in ihrer schönsten Gestalt. Denn eine Liebe ohne Demut ist irdisch, menschlich und teuflisch; aber Liebe in Demut, das ist die Liebe, die Gott gefällt, von der der Hohe und Erhabene spricht: „Daran wird man erkennen, daß ihr Meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt!“

 7. Die Demut wohnt im Herzen, sie erweist sich in der Einsamkeit vor Gott, wenn sie auf den Knieen liegt und