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jener heilige Gott, welcher gebietet: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig“, „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“, daß der mit einer stückweisen Erfüllung Seiner Gebote nicht zufrieden sein kann, daß er einen vollkommenen Gehorsam verlangt. Es ist darum zwar ein schauriges und furchtbares, aber nichtsdestoweniger ein solches Wort, zu welchem alles Volk Amen sagen muß, wenn geschrieben steht: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt.“ Weniger scharf, als Gottes Wort, darf nun der Geistliche auch nicht sein. Wenn er etwas wegthut von dem Ernste, wie er sich in Gottes Worte zeigt, so will Gott von ihm hinwegthun das Teil des Lebens, das ihn selig machen kann; er muß also die Gesetzespredigt mit einem scharfen Ernste treiben und allen Menschen ohne Unterschied, welches Standes sie sind, welches Leben sie auch geführt haben mögen, ankündigen, daß sie von Natur und von wegen ihres Lebenswandels vor Gott (denn was Menschen urteilen und mit Recht nach der ihnen möglichen Einsicht urteilen können, geht den Gesetzprediger nichts an) nichts anderes, als verlorene, verdammte Menschen seien nach Gesetz und Gottes Wort.

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 Das ist’s nun, was Veranlassung giebt, zu sagen: „Der Prediger verdammt alles“. Man unterscheidet nicht, daß der Prediger nur reden darf, was Gott der Herr in Seinem Worte redet, daß er für sich gar nichts, sondern vollkommen abhängig ist von Gottes Worte. Eine große Schuld tragen hier diejenigen Prediger, welche die Gemeinden, statt sie von ihren Sünden und ihrer Verdammniswürdigkeit in Gottes Namen zu überweisen, lieber in ihrem eignen Namen und aus mancherlei unreinen Absichten loben. Da heißt es denn: warum verdammt bloß dieser Prediger und nicht auch die andern? und die Antwort auf diese Frage, welche so leicht ist – daß nämlich der eine redet, was er vor Gott und nach Gottes Wort schuldig ist, der andre aber auf seine eigne irdische Wohlfahrt sah – diese Antwort bringen die Leute nicht heraus, weil sie nicht mögen; sie hätten lieber die andre, nämlich: „Die uns loben, sind Gottes Diener, die uns strafen, taugen