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Am Sonntag Rogate.
(Kirchenlamitz 1832.)


Joh. 16, 23–30. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in Meinem Namen, so wird ER es euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in Meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei. Solches habe Ich zu euch durch Sprichwort geredet. Es kommt aber die Zeit, daß ich nicht mehr durch Sprichwort mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von Meinem Vater: An demselbigen Tage werdet ihr bitten in Meinem Namen. Und ich sage euch nicht, daß Ich den Vater für euch bitten will: Denn ER selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, daß ihr Mich liebet, und glaubet, daß Ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen, und gekommen in die Welt: wiederum verlasse ich die Welt, und gehe zum Vater. Sprechen zu Ihm seine Jünger: Siehe, nun redest Du frei heraus, und sagest kein Sprichwort. Nun wissen wir, daß Du alle Dinge weißt und bedarfst nicht, daß Dich jemand frage. Darum glauben wir, daß Du von Gott ausgegangen bist.

 Schon lange habe ich diesen Sonntag herbeigewünscht, um einmal vom Gebete zu euch reden zu können. Das Gebet ist für eine Seele so notwendig, als das Atmen für den Leib; es ist, wie ein Alter sagt, das Atmen der Seele. Wenn ein Leib ausgeatmet hat, ist er tot, eine Seele, welche nicht betet, ist auch tot. Ich aber wünschte, daß alle eure Seelen möchten leben, darum muß ich auch wünschen, daß sie atmen, d. i. beten! Wenn einmal das Beten in eurer Gemeinde einheimisch geworden sein wird, so wird es überhaupt mit dem Christentum besser stehen. Christen haben es zum Charakter, daß sie beten: das ist so gewiß, daß die Heiden z. B. auf Otaheiti ihre