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Heute geht aus Seiner Kammer
 Gottes Held,
 Der die Welt
Reißt aus allem Jammer.

 Wenn ein Sünder Buße thut, ist Freude vor Gott und Seinen Engeln, – wie viel mehr mußte Freude sein, als der geboren ward, der alle Sünder zur Buße rufen und selig machen sollte von ihren Sünden! Ja, der Himmel freute sich und betete an – die himmlischen Heerscharen sangen heilige Lieder über Bethlehem. ER aber, der Held, über dessen Geburt sich alle Engel freuten, – ER betrat heute die rauhe, schwere Bahn, die ER zu unserm Heile wandern sollte: ER demütigte sich und nahm Knechtsgestalt an. Wie die Kinder Fleisch und Blut haben, also ist ER’s gleichermaßen teilhaftig worden. Unmündig – weinend – wie andre Kinder lag ER in der Krippe, der mit Seinem kräftigen Wort die Welt ins Dasein gerufen hat und durch eben dasselbe alle geschaffenen Dinge trägt und hält, – ER, der in ewigen Freuden bei dem Vater war, ehe der Welt Grund gelegt ist. Niemand sah es ihm an, dem weinenden Kindlein, daß es Gottes eingeborner Sohn war, – nichts verriet die inwendige ewige Majestät dieses Knäbleins. Wie die Sonne in diesen Tagen schon wieder im Steigen ist, ohne daß man es noch viel merkt, – wie sie erst nach und nach merkbar wiederkehrt, – erst nach und nach die Nächte ab- und die Tage zunehmen: so ist die Sonne der Gerechtigkeit an Weihnachten auch. Die längste Nacht ist vorüber, – geboren ist ER, der den Tag bringt – aber ER muß wachsen und zunehmen, – erst nach und nach muß sich Sein großes Werk entwickeln – bis zur Vollendung, – bis dieser Säugling am Kreuze als ein Mann hängt – und mit sterbendem Munde selbst verkündet: „Es ist vollbracht!“ – Maria, Joseph und die Hirten wußten nicht, zu welchen Leiden dieser geboren war, zu welcher Herrlichkeit ER durch Leiden eingehen sollte; aber wir wissen es, – wir stehen staunend vor Seiner Krippe, wir beugen unsre Kniee vor diesem Kinde, wir falten unsre Hände und sprechen: Das Wort ward Fleisch – der eingeborne