Seite:Wilhelm Löhe - Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres.pdf/463

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Leben ist von der Erde weggenommen.“ Während Philippus den Kämmerer so lesen hörte, empfing er vom heiligen Geiste die Weisung: „Gehe hinzu und mache dich bei diesen Wagen!“ Ehe Philippus die Weisung erhielt, nahte er dem Wagen nicht, obwohl er eine Ahnung gehabt haben kann, daß dieser Mann auf dem Wagen die Ursache seiner Reise war. Ohne des HErrn Befehl und Weisung thut er nichts, auf Seine Weisung thut er gern alles.

.

 Seht, liebe Brüder, wie wohl dieser vornehme Mohr seine Zeit auf der Reise anwendet, er liest in Gottes Wort. Sein Stand hätte ihn zu leichtfertigen Gesprächen mit seinen Begleitern und Dienern wohl verleiten können, umsomehr, da sie zu Wagen nicht gut lesen konnten, oder er hätte seine Gedanken ausruhen oder ihnen auch Audienz geben können. Denn so wenden viele ihre einsamen Stunden, namentlich wenn sie auf dem Wege sind, an. Von alledem nichts, er liest Gottes Wort. – Bei uns, wenn einer nur ein wenig vornehm ist oder sein will, so hat er nicht viel mit der Bibel zu thun, denn es ist das Zeichen eines vornehmen Mannes geworden, wenn man nichts aus der Bibel weiß. Da ich einmal einen armen, unwissenden Katholiken aus dem Lande Böhmen fragte, ob denn seine Landsleute keine Bücher hätten, antwortete er: „Etliche haben von alters her Bücher, auf denen steht: Bibel, das ist, das ganze Alte und Neue Testament unseres HErrn und Heilandes JEsu Christi.“ Er wußte nicht, daß die Bibel ein weltbekanntes, berühmtes Buch sei. – Wenn’s so weit ein Vornehmer bei uns gebracht hat, dann denkt er: „Ach, wie tief in Weisheit muß ich sitzen, da ich gar nicht mehr weiß, was die ganze Welt weiß.“ Andere, die auch vornehm sein wollen, lesen zwar in der Bibel, aber nur in ihren Häusern, und wenn etwa ein Besuch sie überrascht, so wird Gottes Wort eilends weggeräumt, als wäre es gestohlen. Denn es wäre eine Schande, wenn es jemand sähe, daß sie noch in der Bibel lesen, in der kein Aufgeklärter mehr liest. Wieder andere lesen zwar in ihren Häusern, aber auf Reisen, das thun nach ihren Ansichten nur Heuchler und Pietisten. Und es ist wahr, viele, die auf allen Straßen