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Sohnes ihres Leibes nicht mehr! Viele Kinder sind Waisen beim Leben ihrer irdischen Väter und Mütter, aber so thut die Kirche nicht, sie nimmt sich ihrer Kinder an, sie ist die Braut dessen, der da sagt: „Ob auch ein Weib ihres Kindleins vergäße, so will Ich doch dein nicht vergessen!“ Ja, es thut viel! Wenn Vater und Mutter eines Kindes irdischer Welt sterben, so ist sie es, durch welche Gott vollbringt, was geschrieben steht: „Vater und Mutter verlassen mich, aber der HErr nimmt mich auf!“ Sie nimmt sich aller geistlich oder leiblich Verwaisten an, und ist freundlich auch denen, welchen kein irdischer Vater ein Vaterherz nachgelassen hat; sie hat Auftrag, auch denen nachzugehn, welche von ihren Eltern verflucht sind mit Flüchen dieses Lebens; sie soll statt alles irdischen Vatersegens ewigen Vatersegen denen bieten, die von Erdenvätern gesegnet sind, wie denen, welche von ihnen verflucht sind. Sie nimmt jedes Waislein auf und tröstet es, sie zieht durch ihre Diener die Waisen, groß und klein, in Zucht und Vermahnung zum himmlischen Vater auf, sie lehret sie Gottes Wege und deutet ihnen Seine Führungen also, daß es verstanden werden kann, der HErr sei freundlich! – O du gute, heilige Mutter Kirche, habe Dank, die du auch mich armes Waislein hast aufgenommen und mich aus deiner Zucht und Lehre nie gelassen bis auf diesen Tag! O Du guter, himmlischer Ewig-Vater, habe Dank, daß Du mir heute meine Mutter gegeben hast, die heilige Kirche; ich danke Dir im Namen aller Menschen, die sonst Waisen wären, und bitte Dich, Du wollest nach Deiner unaussprechlichen Gnade diese meine Mutter an allen Deinen Waisen segnen, an allen irrenden Menschen!


V.

 Die heilige Kirche ist ferner eine gute Mutter. Sie hat uns geliebt, ehe wir sie lieben konnten, und liebt uns, solange wir lieben können; sie liebt uns herein ins Leben und liebt uns hinaus; sie glaubt an unserm Tauftage und an unserm Sterbetage, daß es mit uns zum Leben geht, und zweifelt nicht! Sie kennt die Verheißungen Gottes und ist gesetzt zu