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Seelen, wer unter euch allen kann mit Wahrheit sagen, daß er fleißig an seine Taufe denke, daß er seine Kinder oft und mit heiligem Ernste an dies edle Gotteswerk erinnere? Und, um die Forderung und Frage zu verstärken, wer unter euch kann sagen, daß er schon einmal auf seine Kniee gefallen sei und Gott dafür von Herzen gedankt habe, daß er getauft sei? Liebe Seelen! die Hand aufs Herz – und antworte ein jeder in seinem Herzen nach der Wahrheit. Ich weiß, wer ehrlich ist, wird wohl gestehen müssen: Es ist wahr, daran denke ich selten, dafür danke ich selten, – habe auch kaum einmal daran gedacht, daß meine Pflicht sei, meine Kinder an ihre Taufe zu erinnern und sie zu herzlichem Danke für dieselbe anzuleiten.

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 Da nun doch ein jedes Kind so ernstlich zur Taufe gebracht wird, da man offenbar ein großes Gewicht darauf legt, daß ein jedes Kind getauft werde, woher denn, wenn einmal das Kind getauft ist, diese Vergessenheit und Verachtung des heiligen Werkes? Denn Vergessenheit ist es doch nun einmal, wenn man nicht daran denkt, und Verachtung, wenn man nicht dafür dankt! – Ich will es euch sagen, woher das kommt. Die Taufe, deren inwendige Herrlichkeit wir, so Gott will, in dieser Predigt noch kennen lernen werden, hat es mit ihrem Stifter gemein, daß sie wie ER keine Gestalt noch Schöne hat, die in die Augen fiele. ER, der ewige Gottessohn, kam in der Gestalt des sündigen Fleisches – und war, wie ein anderes Menschenkind, ja, in Seiner segensvollsten Zeit, da ER am liebenswürdigsten war, am Kreuze, war Seine Gestalt häßlicher, als anderer Leute, und Sein Ansehen, als der Menschenkinder, und ER konnte klagen: „Ich bin wie ein Wurm und kein Mensch.“ So die Taufe – ein wenig Wasser mit kurzem Gebet über das Haupt eines Kindes gesprengt – das ist alles; unansehnlich ist’s und in zwei Minuten ist’s vollbracht. Was aber nicht in die Augen fällt, vergißt und verachtet das eitle Herz des Menschen! – Ferner sind auch die Vorteile, welche die heilige Taufe bringt, für dies irdische Treiben ohne Nutzen, sie sind unsichtbar, und wer sie nicht glaubt, versteht sie weder, noch hat er sie. Wären es