Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage).pdf/31

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Klugheit eine große, seltene Tugend ist: – wer giebt uns denn ein sicheres Kennzeichen an die Hand, nach welchem wir treue Lehrer von den falschen unterscheiden, keinem unrechtmäßig das Vertrauen schenken, aber auch keinem unrechtmäßig das Vertrauen entziehen? – Ein solches sicheres Kennzeichen, l. Seelen, giebt uns der Herr selbst in unserm Texte: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“

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 Unter den Früchten ist nicht die reine Lehre verstanden: wer die nicht hat, ist ein offenbarer Wolf. Auch gehört nicht hieher, wie viele Anhänger, Zuhörer und Freunde ein Lehrer hat: denn der Teufel hat in der Welt die meisten Zuhörer, Anhänger und Freunde. Ferner gilt hier nicht, wie viele einer zum wahren Christenthum bekehrt hat: das hängt von den Gaben ab, welche Gott verleiht und versagt, wem Er will. – Willst du aber lernen, welche Früchte hier gemeint seyen; so studiere nur die Bergpredigt, welche dicht vor dem: „Sehet euch vor!“ unsers Textes steht. In ihr hat Jesus Christus der Pharisäer und falschen Propheten böse Früchte und gegenüber seiner Schafe edle Tugendfrüchte treu und kenntlich abgezeichnet. – Welcher Lehrer nicht mit allen Kräften trachtet, in den sieben ersten Seligkeiten der Bergpredigt erfunden zu werden; welcher nicht mit allen Kräften ringt, die bessere Gerechtigkeit zu erfüllen, welche Jesus auf dem Berge lehrte; – ich sage nicht: „welcher sie nicht erfüllt“ (denn das kann keiner); sondern: „welcher nicht nach allen Kräften ringt, sie zu erfüllen“; – welcher nicht vor allen Dingen, sichtlich, unwidersprechlich, unabstreitbar nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit trachtet: – von dem kann man gründliche Besorgniß haben, er möchte etwa kein frommer Lehrer, sondern ein falscher Prophet seyn, von dem steht geschrieben: „Sehet euch vor!“ – Im Gegentheil: wenn es an einem Lehrer augenfällig ist, daß er den Willen des himmlischen Vaters zu erfüllen