Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage).pdf/33

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verstehst; denn es muß geistlich gerichtet seyn, und wer weiß, ob du in deinem Urtheil dich von Gottes Geiste leiten lassen magst? Wohl möglich, daß du manchen treuen Lehrer verkennst, und manchen falschen für heilig und treu achtest: daran aber bist du schuldig und deine Ungeschicklichkeit, nicht die Frucht, die redlich von dem Baume Zeugniß giebt. Wer nie einen Apfel gesehen hätte, könnte wohl auch eine Birne für einen Apfel halten, und einen Birnbaum für einen Apfelbaum: deswegen bleiben aber dennoch Frucht und Baum, was sie sind. Gleich also, wenn du aus Gottes Wort durch Seinen heiligen Geist gelernt hast, was ein guter Baum und eine gute Frucht ist, wirst du von dem guten Baume richtig und gut urtheilen können und von dem bösen, wie es einem bösen Baum gebührt.

 Ferner: Es stehen zwei Weinstöcke verschiedener Art im Garten, doch jeder gut und fruchtbar in seiner Art. Beide sind in Wahrheit Gottes liebe Pflanzen, und ihre Früchte sind weder Heckenbeeren, noch Dornenfrüchte. Wenn dir nun des einen Weinstocks Trauben besser schmecken, als des andern, und du wolltest um deines Geschmacks willen den einen Weinstock loben, den andern verachten, da sie doch beide Gottes Pflanzen sind in ihrer Art; so wärest du freilich um deiner Leidenschaft willen ungeschickt, zu urtheilen, was gut und bös ist; aber des Herrn Befehl bleibt dennoch lauter und ohne Wandel: „An den Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Er verneint in unserm Evangelio auf das allerstärkste die Möglichkeit, daß von einem bösen Baume gute Früchte, von Dornen Trauben, von Disteln Feigen, von einem bösen Herzen Früchte eines heiligen Wandels geerntet werden können. Dabei muß es bleiben, obgleich der Christen Sünde im Urtheil über eines Lehrers Werke groß ist.

 5. Indeß weil auf ein richtiges Urtheil allerdings viel ankommt; so kommt der Herr der menschlichen Schwachheit