Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage).pdf/74

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und die süße Gewöhnung aneinander verursacht, daß sie den Gedanken einer Trennung gar nicht fassen können. Der Abschied kostet viele Seufzer, Thränen und Gram. Und wer, der noch ein menschliches Herz in der Brust hat, möchte darüber eine Mißbilligung äussern? –

 Wenn aber der Schmerz bei einer Trennung auf kurze Zeit nicht gemißbilligt werden darf, wie viel weniger darf man Thränen, Seufzer und Gram mißbilligen, welche an Sterbebetten die Herzen belasten? Diese Trennung ist fast ernsthafter, als jede andre. Der Sterbende verläßt nicht nur sein Vaterhaus, sondern Vaterstadt und Vaterland, ja diese Erde und dieses freundliche Licht der Sonne – er geht durch ein dunkles Thal in ein Land, welches nur die kennen, welche darin wohnen. – Wer an einem Sterbebette steht, ist wie einer, der am Meere stehend die Schiffe abfahren, oder auf dem flachen Lande verweilend die Störche und Kraniche abziehen sieht: er kann weder Schiff, noch Vogel halten – und nachziehen kann er auch nicht. Er sieht ihnen nach, so lange sie sichtbar sind: dann ist’s, als hätte er sie nie gesehen. Wenn nun einer Vater oder Mutter, Bruder oder Schwester, Sohn oder Tochter so über Land, d. i. in die Ewigkeit ziehen sieht; so thut ihm sein Herz so weh und sein Schmerz ist unaussprechlich groß.

 Diesen Schmerz nun nimmt das Christenthum nicht weg. Wir sollen, so lange wir hie wallen, durch allerlei Schmerz, sonderlich durch den an Sterbebetten, erinnert werden, daß wir nicht daheim sind, daß wir keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen. Aber mäßigen will das Christenthum diesen Schmerz – und gleichwie das ganze Leben ein Elend, aber ein getröstetes Elend ist, so soll für den Christen auch der Schmerz an Sterbebetten durch große, süße Tropfen himmlischen Trostes gemildert werden. – Verlangen, daß man bei solchen oder andern schweren Fällen des Lebens von keinem Schmerz