Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage).pdf/94

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Auge: eine Thräne dieses Auges, am Oelberg, in Gethsemane geweint, drückt einen Oelberg von Sünden nieder! Dir mißfällt dies vor Traurigkeit geneigte Haupt des stillen Königs ohne Prunken? Was wirst du erst sagen, wenn dies Haupt unter dem Dornenkranz erbleicht, wenn es müde auf die Brust niedersinkt? wenn es stirbt? Ich sage dir, nein, Gottes Wort sagt dir: Da neigte Er zum Kelch des Todes Seinen Mund, auf daß Er den Tod verschlänge in den Sieg! Das ist Seines Sieges letzter Schritt, mit dem’s vollbracht ist! – Du betrachtest zweifelnd diese Hände, die so milde die Zügel führen, diese Füße, welche so ruhig und ohne Kampf vom Rücken des Lastthiers herabgleiten: wisse, in diesem Mann, der sanft ist, wie ein Lamm, ist verborgen Der, von welchem die Aeltesten im Himmel der kummervollen Welt trostreich predigen: „Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus Juda!“ In Ihm verborgen ist, der in der Wiege schon Kraft und Held genannt ward! Diese Hände würgen deine Sünde, liebe Seele, – ja, diese Hände tödten deinen Tod, – diese Füße treten den alten Feind, den Satan, ewiglich zu Boden! Sey getrost! Er thut’s!

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 Warum aber, wenn Er so groß und stark ist, kommt Er so schwach und demüthig, warum so klein gegen die Könige der Erde? Ach wie gering ist Er! Er reitet nicht auf weissem Rosse. Das Lastthier, auf dem Er sitzt, ist nicht Sein, ist entlehnt. Kleider armer Leute sind Sein Reitzeug. Keine prächtigen Trabanten gehen oder reiten neben Ihm. Es ist Alles so gar klein beim Einzug des großen Königs: wie kommt das? – Erinnere dich, mein Herz! nicht zum Triumphe zieht der Herr nach Jerusalem, sondern zum Tode; nicht zu Freuden, sondern zu schweren Leiden. Schon ist das Grab gehauen, darin Er liegen soll; schon der Berg Golgatha bereit, Sein Kreuz auf seinem Scheitel aufpflanzen zu lassen; und längst ist das Holz gewachsen, an welchem hängend Er sterben wird!