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aber bis zu dessen wirklicher und völliger Vollendung muß das Wort „Es ist vollbracht“ greifen, weil uns die ganze Schrift bezeugt, daß der Tod des HErrn der große Abschluß alles deßen ist, was Er im sterblichen Leben dahier zu thun hatte. Er weiß vor dem Eßigtranke, daß alles vollendet ist, und nichts mehr zu thun, als die Vollendung anzukündigen und zu sterben, da greift Er mit Seinem Worte voraus, und in der Gewisheit, daß nun Seine Seele von den Banden des Leibes sich losreißen werde, im vollen Entschluß zu sterben, ruft Er: Es ist vollbracht.

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 Um ein wenig deutlicher ist uns nun allerdings das Wort des HErrn „Es ist vollbracht,“ aber die Frage: „was ist vollbracht?“ ist uns der Sache nach doch noch nicht gelöst. Die Weißagungen sind vollbracht, so viel wißen wir; aber welche Weißagungen? Heißt das bloß so viel als: Er ist Mensch geworden und geboren von einer Jungfrau, wie es geschrieben steht? Er hat gelehrt und Wunder gethan, wie es verheißen war? Er hat gelebt und gewirkt nach dem Worte der Propheten? Er ist verrathen und übergeben in die Hände der Sünder, Er hat gelitten und ist gestorben nach dem vorauslaufenden Zeugnis der Propheten? Ohne Zweifel liegt das mit in dem großen sechsten Worte. Es ist ja der Lebenslauf des HErrn in den Worten der Propheten voraus verkündigt und die großen Umrisse Seines Schattens hat Er vor sich her auf den Plan der Erde geworfen, ehe Er kam. Aber ist denn bloß Sein großer Lebenslauf und Sterbenslauf geweißagt und hernach vollendet? Stehen die außerordentlichen, alle Gedanken der Menschen überragenden Thatsachen völlig unbegriffen und räthselhaft, wie ein Fragezeichen im Verlauf der Geschichte, oder hat auch etwas verlautet von der