Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Vorträge über die Worte JEsu Christi vom Kreuze.pdf/31

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die vollkommenste und heiligste von allen, ganz Theilnahme für ihres Leibes Schmerzen und unnennbares Weh und Elend gewesen sein. Diese Seele ist keine rohe Heldenseele, die sich gewöhnt und abgehärtet hat, vom leiblichen Befinden abzusehen, und den Leib, wie er auch sei, mit fortzureißen auf ihrem Wege der ungebeugten und ungeheiligten Kraft. Da ist mehr, als alle Heldenseelen; da ist tiefste vollkommenste Erfaßung aller Noth des Leibes, dabei aber eine solche vollkommene Hingebung an die erkannte Absicht dieser Leiden und ein solcher Drang, die Absicht zu erreichen, daß alle Noth den hohen mächtigen Geist nicht bezwingt. Denn es sieht ja ein jedes und hört aus JEsu Munde, wie Er nicht in der Betrachtung Seines Wehs versinkt, nicht in Seinem Leid, sondern ganz im liebevollen Andenken an diejenigen aufgeht, die Ihm das alles gethan. Sie wißen nicht, was sie thun. Für sie ist es eine ungelöste und damals unlösbare Frage: „Was thut ihr?“ Aber Er weiß alles. Er weiß, was sie thun, wie ihr Thun weit über ihre Absicht und über ihren Willen und über ihre Kräfte hinausragt; Er sieht, wie sie von der Hölle ergriffen sind, unverantwortlich zu freveln und anzutasten Denjenigen, den auch der Teufel nicht ohne Menschenhände anzutasten wagt. Er durchschaut die ganze Finsternis der Hölle; Er weiß aber auch, welche Wolken des Zornes Gottes sich über dies Geschlecht lagern, und welche Blitze sich sammeln, um in diese finstere Nacht der Menschen und Dämonen einzuschlagen. Da muß Einer dazwischen treten und helfen, sonst zerbricht der Himmel, und die Gerechtigkeit zahlt nach Verdienst die Verbrecher. Und der nun dazwischen tritt, das ist Er selbst. Zwar kann Er nicht gehen, denn Seine Füße sind angenagelt; auch kann Er die Hände nicht