Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Vorträge über die Worte JEsu Christi vom Kreuze.pdf/63

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nennen, da schon die Möglichkeit einer einzigen Erklärungsweise hinreichen würde, den Vorwurf des Widerspruchs abzuweisen. Sehen wir nun vorzugsweise unsern Text an, so finden wir, daß in Betreff der Aeußerungen, welche der schlimmere Schächer vom Kreuze herab JEsu gegenüber that, ein bestimmteres Wort gebraucht ist, als bei Matthäus und Markus, denn bei den letzteren heißt es: die Schächer schalten oder schmäheten JEsum. In unserem Texte aber wird dem üblen Schächer Lästerung im eigentlichen Sinne zugeschrieben; sein Schelten und Schmähen verstieg sich also bis zur Lästerung im vollen Sinne des Worts. Es wird uns aber auch im Texte gesagt, worin die Lästerung bestanden habe; sie wird wörtlich angeführt: „Wenn Du der Christ bist,“ sagte der Gehenkte, „so rette Dich selbst und uns.“ Würde man diese Worte lesen, ohne daß sie von dem heiligen Schriftsteller selbst als Lästerung bezeichnet wären und ohne daß sie der fromme Schächer so ernstlich getadelt hätte, so würden wir vielleicht geneigt sein, sie nicht so hoch aufzunehmen. Man könnte in ihnen vielleicht sogar eine Art Bitte und Hilferuf und eine, wenn gleich zweifelnde Achtungsbezeigung gegen unsern HErrn finden. Sie sind ein Beweis, daß manches Wort schlimmer als der Wortlaut ist. Die bekannte Gesinnung des bösen Schächers, etwa auch die Umstände und die Geberden müßen es außer Zweifel gesetzt haben, daß er eigentlich keinen Sinn ausdrücken wollte, als den: Du bist nicht Christus, sonst würdest Du thun, was dort Deine Feinde zu Dir sagten, nämlich vom Kreuze herabsteigen, Dir helfen und auch uns. Du kannst weder das eine, noch das andere, und drum bist Du nicht der Christ, denn der läßt sich nicht von