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Wilhelm Löhe: Vom christlichen Hausgottesdienste, Nach der Aufl. (Nürnberg: Raw) von 1850 neu gedruckt

Regel – (denn einzelne seltene Ausnahmen gestehen wir gerne zu) – nicht anders als mit vorgelesenen Gebeten, nur daß dabei noch mehr Gefahr ist, daß Herz und Sinne der Mitbetenden sich auf eine menschliche Persönlichkeit richten, und daß der Vorbetende wegen sorglicher Bedachtnahme auf seine Worte, eben um der andern willen, oft am wenigsten eigentliche Andacht hat. So hindert auch oft nicht allein die Ungeschicklichkeit des Beters und die Schwerfälligkeit des Mitbeters (so wie sie gewöhnlich sind), sondern auch viele Unreinigkeit beider, dem Gedankengange eines freien Gebetes zu folgen. Der Vorbetende hat ferner seine Lieblingsgedanken, seine Lieblingsworte, seine Launen, sein Temperament, seinen Hochmuth, welche sämmtlich sich im Beten nicht verläugnen können. Betet er mit all dem allein, so hat er zum Zuhören einen barmherzigen und langmüthigen Gott. Betet er vor andern, so werden diese, je nach ihrer Neigung zum Betenden und nach ihrer Eigentümlichkeit, entweder an seiner Schwachheit und Sünde theilnehmen und ihr eigenes Gebet verunreinigen, oder sie werden, – der Vorbeter mag nun so lebhaft und eindringlich beten, als er will – nur desto mehr zur „Kritik“, d. i. zum Urtheilen, zum Mustern und Meistern seiner Worte verleitet werden, was alles Mitbeten tödtet. Alles das fällt bei bereits bekannten, gemeinschaftlich gesprochenen Gebeten weg. Bereits bekannt müßen freilich gemeinsame Gebete sein, wenn sie mit Andacht gebetet werden sollen. Das können sie aber leicht sein und werden, wenn sie kurz sind, wenn im Anfange ihres Gebrauchs der Hausvater immer zuvor, ehe er eines betet, es seinen Leuten zum Durchsehen und Durchdenken empfiehlt, wenn er zuerst zwischen wenigen, und nur allmählich zwischen mehreren wechselt. Auf diese Weise werden die Hausgenoßen die Gebete nicht allein kennen lernen, sie werden sie durch das öftere Beten völlig auswendig lernen und je länger je mehr das geschriebene Blatt oder das gedruckte Büchlein

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Vom christlichen Hausgottesdienste, Nach der Aufl. (Nürnberg: Raw) von 1850 neu gedruckt. Carl Junge'schen Officin, Ansbach 1864, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Vom_christlichen_Hausgottesdienste.pdf/27&oldid=- (Version vom 4.9.2016)