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ohne daß man den Brauch und die Sitte derselben vollständig erkannt hat: dies soll blos gesagt sein, um die Aufgabe nach ihrer Schwierigkeit hinzustellen. Unmöglich zu leisten ist sie deshalb nicht, zumal für Frauen, also auch für Kleinkinderlehrerinen, die ihren Wirkungskreis so ganz in Mitte des Volkes haben. Frauen haben bekanntlich für solche Dinge auch einen sehr offnen Sinn und scharfe Augen. Man wird sich nicht lange mit der Aufgabe beschäftigt haben, so wird man das hervorragend Unschöne der Sitte eines Ortes oder einer Gegend erkennen. Sobald man so weit ist, beginnt die Arbeit der Gewöhnung und Entwöhnung. Dabei muß man sich allerdings hüten, daß man nicht allenfalls die eigne Gewöhnung zum Muster und Maßstab für jede andere macht und den von Jugend auf selbst eingeübten Brauch so ohne weiteres den Schülern und Schülerinnen aufdringt. Z. B. die Kleidung und leibliche Gewöhnung des Städters ist kein Maßstab für den Landbewohner, welchem man vielleicht alle seine Lebenseinrichtungen getrost lassen darf, wenn man ihnen nur Schmutz und Rohheit nimmt.

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 Besonders zu erwähnen dürfte es sein, daß das Kind zur Zuvorkommenheit und Gefälligkeit, zum Gebrauche eines edlen Ausdrucks, zu schönem Gruß, zu einfach schönem Gang und Haltung des Leibes gewöhnt werden muß[1], sowie daß es


  1. Die Landkinder, die im Sommer barfuß gehen, sind nicht anzuleiten, immer in Strümpfen und Schuhen zu erscheinen. Sie bleiben bei ihrem Brauch. Sie werden für ihr Volk erzogen, und so wie ihr Volk. Nicht bloß schadet es ihnen nichts, sondern sie haben Nutzen. Ihre Gewöhnung ist die bessere und die gesündere, wenn nur das Auge der Lehrerin gegen den möglichen Schaden wacht. Aber freilich die Reinlichkeit der Füße muß gepflegt werden, und das kann auch sehr leicht geschehen. Die Stadtkinder, die ihre Füße immer in Strümpfen und Schuhen stecken haben, haben es nicht leichter, sondern schwerer, die Füße rein zu halten, da Schweiß, Staub und Schmutz durch die Gewöhnung der Städter nur mehr verborgen und zugedeckt ist. Auch gleichen die Füße der Stadtkinder durch verkehrte Gewöhnung häufig den Schwämmen, die die Feuchtigkeit an sich ziehen und die Verkältung befördern, während der bloße Fuß der Landkinder nicht bloß reinlicher, sondern auch gesünder und schöner gedeiht. Auch ist der bloße Fuß eine Anleitung zum schönern Gang. Das Stadtkind geht, wie es der Schuh und Stiefel erlaubt. Das Landkind fühlt mit seinem bloßen Fuß, fühlt damit [11]
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Wilhelm Löhe: Von Kleinkinderschulen. Gottfried Löhe, Nürnberg 1868, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Von_Kleinkinderschulen.pdf/16&oldid=- (Version vom 8.8.2016)