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Reichthum hatte und welche in großer Mannigfaltigkeit der Zungen das Evangelium verkündigten. Löhe hörte sehr häufig drei bis vier Predigten des Sonntags, nach damaliger guter, jetzt freilich antiquierter Berliner Sitte. Schleiermacher, Theremin, Goßner, Conard, Strauß, Lisko – das waren die Prediger, deren Kirchen Löhe am häufigsten besuchte. Schleiermacher hat ihn im Laufe der Zeit als Prediger doch mehr angezogen, als der Eindruck der ersten Predigt, die Löhe von ihm hörte, erwarten ließ.

 „Ich gieng[1] heute (27. April) um 7 Uhr zu Schleiermacher in die Dreifaltigkeitskirche. Wurde aus dem Porst’schen Gesangbuch gar ein schönes Lied gesungen, zu dem freilich die Predigt nicht paßte. Der Text war Joh. 20. 1–11. Das Thema: Heilige Scheu vor Gottes Weisheit und der Tiefe seiner Anstalten in dem Bewußtsein eigener Schwäche, wie man das an Johannes erkenne, der nicht gleich ins Grab Christi hineintrat – und ruhige Forschung und Untersuchung auch bei göttlichen Dingen, wie selbe an Petrus zu erkennen, der auf dem Wege nach dem Grabe nicht gelaufen, sondern ruhig gegangen, aber dann auch nicht gestanden, sondern sofort hineingegangen sei: beides sei nöthig, um in der christlichen Wahrheit fest zu werden. Beides sei allerdings nichts, sondern die Gnade müsse es thun. – War viel zu widerlegen, vieles falsch, vieles aus einem Herzen, das nie ruhig und ernstlich sich selbst erforscht (z. B. redete er von unverdorbener Natur und gesundem Verstande etc.). Ich konnte also hier blos einen menschlich gescheidten Mann sehen und hören, aber erbaut habe ich mich nicht.“

 So urtheilte Löhe damals. Dem ungeachtet ist ihm diese Predigt Schleiermacher’s lebenslang unvergeßlich geblieben.


  1. Aus Löhe’s Tagebuch.