Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 3.pdf/283

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

er damit im Sinn, als daß die Diakonissenanstalt vielleicht nur zehn Jahre dauern und dann ihr kleines Lichtlein wieder auslöschen könnte. Dieser Festredner setzte der Anstalt damit ein kurzes Leben und denen, die an ihr arbeiten würden, eine baldige Ruhe. Er erlebte nun aber selbst den Abschluß des ersten Jahrzehnts, und anstatt am zehnjährigen Jubeltage mit der Leiche der Diakonissenanstalt zu gehen, bemächtigte sich seiner die Überzeugung, daß die ganze Anstalt nach zehn Jahren erst noch im Kindesalter sei, und statt ihre Aufgabe gelöst zu haben, vielmehr noch ferne von ihrem vollkommenen Alter erkannt werden müße. Die ganze Entwicklung des ersten Jahrzehnts ist, obgleich viel größer, als man vor zehn Jahren hoffen konnte, doch so ungenügend in jeder Hinsicht, daß man der Anstalt entweder noch ein ferneres, sich auf lange Zeit hinausstreckendes Leben und Wirken erwünschen und erflehen, oder sich auf jene Gefühle gefaßt machen muß, die einen überwältigen, wenn ein Mensch in der Blüte seiner Jahre, ehe er seine Lebenskraft recht erreichen konnte, aus der Zeit und zu Grabe gehen muß. – Es gibt freilich schon jetzt Leute genug, welche über das rastlose Umsichgreifen der Diakonissenanstalt ganz unwillig sind und nichts mehr wünschen, als daß sie endlich einmal in ein stilles Geleise einlenken und ihr bischen Arbeit im Frieden thun möchte. – Aber das wäre gerade so, wie wenn man zu einem kräftigen Jüngling, der sich seinem männlichen Alter entgegenstreckt und nach einem Lebensberuf ringt, sagen wollte: Gib dir nicht so viel Mühe; setz dich in den Großvatersessel und sei still. Was für eine Nachwelt werden die erziehen, die den strebenden Kräften dergleichen Ratschläge geben. – Es hat alles Ding seine Zeit, und es gibt z. B. Pflanzen und Thiere, die alt genug sind, wenn sie zehn Jahre gelebt haben; aber es gibt andere, deren Lebensende, ja deren Lebensmitte, ja deren Lebensjugend sich weit über ein Jahrzehent hinaus erstreckt, und der einem jeglichen Ding seine Zeit

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/283&oldid=- (Version vom 1.8.2018)