Seite:Zürcher Diskußjonen (16–17) 015.jpg

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indem man ihn mit einem verurteilten und ausgewiesenen Schriftsteller gleichen Namens verquikte, indem man ihm den „Stilkünstler“ und „Versedrechsler Panizza an die Rokschöße hing. Dieser Versuch ist gänzlich mislungen. Ein Mann der Tat, wie Attilio Panizza, ein Mann, der mit seinem Dolch für seine Ideen einzutreten bereit ist, der jeden Tag für seine Brüder auf dem Schafott zu sterben bereit ist, der nie um materjelle Verbeßerung seiner Lage, sondern stets um das Glük und Wolergehn seines Volkes sich bemüht hat, steht turmhoch über einem meinetwegen talentirten Schriftsteller, der in Ideen wacht, statt des stile (Dolchs) sich des Stils bedient, unter Angst und Gewimmer Verse produzirt, wie ein scheuer Vogel von Ort zu Ort flüchtet, Tränen vergießt, wenn er ausgewiesen wird, stets auf Verbeßerung seiner Lage bedacht ist, ein Verlagsgeschäft betreibt und die Leute um Gotteswillen bittet, sie möchten ihm seine Bücher abkaufen. Wie konte man glauben, von zwei solchen Naturen die eine, die edlere, durch zufällige Verknüpfung mit der anderen, der geringeren zu befleken! Die größeren Zeitungen haben denn auch sofort diese niedrige Absicht durchschaut, das Misverhältnis, erkant und die Notiz nicht weiter verbreitet. Und auch Attilio Panizza wurde wol kaum davon berührt. Was würde denn etwa Brutus sich seiner Zeit in Rom daraus gemacht haben, wenn eines Tages irgend ein Winkelschreiber gleichen Namens wegen seiner obszönen Verse oder eines Pamflets gegen die Regierung halber vom Liktor gezüchtigt worden wäre, und nun Gaßenbuben vor ihm, dem großen Brutus, hergelaufen wären und unter absichtlicher Verwechslung der Namen ihm in die Ohren geschrieen hätten: „Aeh! Brutus hat Klopfe gekriegt! – Brutus hat Klopfe gekriegt ….“? – Er würde gelacht haben, würde mit einer verächtlichen Bewegung das Togaende über die Schultern geworfen haben und wäre seines Wegs gegangen. – Auf der andern Seite würde aber Markus Brutus – ich wollte sagen: Attilio Panizza – sich niemals dazu hergegeben haben, durch eine derartige graße Gegenüberstellung zweier Personen, von denen die eine natürlich in Folge der stattgehabten Abschäzung eher noch höher steigt, die andere eher noch tiefer sinkt, einen armen Dichter und Federfuchser noch tiefer in die allgemeine Verachtung hinabzustoßen. Attilio Panizza würde, wenn überhaupt dieses deutsche Geschmier bis zu ihm gedrungen ist – er ist Italiener – es weit von sich gewiesen haben, durch einen irgendwie angestelten Vergleich mit seiner Größe den Herausgeber der „Zürcher Diskußjonen“, der zufällig seinen Namen trägt, herabzuwürdigen. – Mögen also die Schriftleiter der hier in Rede stehenden deutschen und östreichischen Schmierblätter sich in Zukunft beßer vorsehen, und ein wenig mehr mit dem feinen Instinkt des Volkes in solchen Dingen und der Nobleße der dabei in Betracht kommenden Personen rechnen. –     O. P.


Paris. Heute, am 10. Juli 1899, am Tage, da in den hiesigen Blättern bekant wurde, daß das Denkmal für Charles Baudelaire im Herbst im Jardin du Luxembourg aufgestelt werde, traf das Telegramm aus New-York ein, daß daselbst das für Deutschland bestimt gewesene Heine-Denkmal von Herter in Bronx Borough enthüllt wurde. Baudelaire hat als wesentliches Vermächtnis nur ein Bändchen Gedichte, „Les fleurs du mal“, zurükgelaßen, welches bei seinem ersten Erscheinen ganz Paris in den höchsten ästetischen Schreken versezte, und deßen Einfluß, troz tiefgreifender Wirkung auf einzelne Dichtergruppen, in Frankreich kein universeller war (Brockhaus’ Konversazjons Lexikon kent ihn nicht einmal). Heine, der fast während seiner ganzen Laufbahn neben herbem Tadel großes Lob gefunden, hat jezt seit bald einem Jahrhundert die lirische Ausdruksweise sowie die künstlerisch geartete Prosa in der umfaßendsten Weise beeinflußt, und in beiden Gattungen fast alle Späteren in seine Geleise gezwungen. Man kann nur mit dem Gefühl tiefer Beschämung diese beiden Daten in der Behandlung nazjonaler Dichter nebeneinanderstellen. Und man wird diese so verschieden sich kundgebende Dankbarkeit diesseits und jenseits des Rheines nur dann begreifen, wenn man sich erinnert, daß die Aeußerungen des Gemüts hier/hiev in Frankreich eine spontane Kundgebung des Volkes, in Deutschland nur durch Verleitgabe von Seite der Regierung oder der Geistlichkeit möglich sind. Sind also solche Aeußerungen leztgedachter Gattung polizeimäßig und niederträchtig, so wird man wißen, wo die Quellen zu suchen sind.

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_015.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2018)