Seite:Zürcher Diskußjonen (18–19) 008.jpg

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Und Venus wandelte dahin, und die Falbeln ihres samtnen Rokes schlugen gegen die schneeweißen Waden, und mein Herz jauchzte innerlich: endlich! rief ich, einen Schluk Freiheit, ein Asil des ungehemten Menschentums, eine Freistätte der Liebe, unter griechischen Hirtenmädchen, unter dem Schuz der höchsten Göttin selbst – „Vrenelis Gärtli!“ Garten der Freia, welches Entzüken! ..... Polizeifreie Erde, Ihr ungefeßelten Luftzüge, Ihr plappernden Pappeln, die Ihr noch Euren Mund auftun dürft, Ihr rauschenden Wälder, die Ihr noch nicht unter dem Unfugs-Paragrafen seufzt, stelt Euch unter den Schuz der großen, leuchtenden Himmelsgöttin, der Freia, – und Du Venus, Göttin der Liebe, schüze diese heilige Kultstätte vor Frevlern, umgebe dieses Tal mit Schlinggewächsen und Irrgärten, und stelle die scharfen Hauer der Dir ergebenen Wildschweine hinein, damit sie jeden Uniformirten, jeden Polizisten anfallen, der es wagen solte, Dich zur „Schriften-Abgabe“ aufzufordern, von Dir „Heimatschein“ oder „Konsulatszeugnis“ zu verlangen ....

Ich war wieder in meine zornige Stimmung geraten, das ganze Elend unserer deutschen Misere, die Kasernen-Manieren, mit der diese neuen Gottheiten sich bei uns breitmachten, der Zuchthaus-Ton, mit dem man die Herzen der Menschen aneinanderknüpfen wolte, dieses erfror’ne Christentum mit seinen messing’nen Dogmen, das man an Stelle der Liebe sezen wolte, traten wieder in ihrer ganzen Erbärmlichkeit vor meine Seele, und unbedacht schlürfte ich jezt den Labetrunk, den mir die Göttin vorsezte, ungemischt den 2000jährigen Wein von Chios und Tenedos hinunter.

Venus sezte sich zu mir, und wir sprachen miteinander, wie zwei Menschen, die sich zum erstenmal treffen, die aber bei dieser ersten Begegnung wie mit einem Schlag erkant haben, daß sie zusammengehören, daß ein festes, inniges Band ihre Herzen verbindet, lauter und offen, aber nicht ohne kleine Nekereien.

„Miseri – sagte Venus – Du bischt würkli kei ä so en zwiderne Bua – aber säg jezt amal: was isch das für ä wüeschti Sprach, die Du da redst, wo chunst Du eigetli jezt au her? ....“

Ach! – sagte ich – die Sprache wäre nicht das Schlimmste bei uns – ich komme aus Deutschland, sozusagen aus Berlin, weit drüben über’m Rhein, wo die Kornfelder sich dehnen, weithin die Ebenen sich streken und die Polizei überall in die Häuser komt und die Gewißen beängstigt .... Ihr habt dergleichen Feinde hier nicht! –

„Ja nai! – uns schenired hier nu d’ Wölf bi der Nacht – und dene brenne mir eis uf de Pelz ....“

Eben, Ihr entledigt Euch Eurer Feinde, die Euch Haus und Hof bedrohen, durch Totschlag. Das können wir nicht ....

„Ja, warum nüd?“

Bei uns sind die Tiere heilig.

„Heilig? – zwegewas? –“

Wir dürfen sie nicht töten; es gehört das zu unserer Religion.

„Ja, was isch das au wieder für e Religion?“

Der höchste Gott bei uns ist ein Mensch, oder ein Pferd – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – ein Mensch auf einem Pferd, ein Pferde-Mensch, ganz mit ihm verwachsen, vollständig verpferdet, der mit einem fürchterlichen Geschrei, wie Polyphem, über die Lande fährt,

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_008.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)