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Man stelle doch nur einmal einen wirklichen normalen Mann und ein wirkliches normales Weib, wie sie Gott erschaffen hat, nebeneinander und frage sich: Können zwei Wesen, die so verschieden geartet, gebaut, in jeder Beziehung so verschieden konstruirt sind und so verschieden funkzjoniren – können diese zwei Wesen jemals gleichberechtigt, d. h. mit dem gleichen Erfolg zur gleichen Betätigung gebracht werden? Hat es irgend einen Zwek und würde es sich in irgend einer Beziehung lohnen, das zu versuchen, eines von ihnen nach dem andern zu modifiziren, die Geschlechtsunterschiede, die alle andren bedingen, zu verwischen, damit Eines dem Andren ähnlicher wird? –

Wozu hat die Natur denn überhaupt mänliche und weibliche Wesen mit ihrer ewigen Verschiedenheit hervorgebracht? Wozu der anatomische Unterschied, der den Mann von vornherein zum Angreifenden, Ausübenden und das Weib zum Empfangenden, sich Unterwerfenden macht?

Die geschlechtliche Attake ist die Urleistung des Mannes, die nur er auszuüben vermag und von der aus sich sein ganzes Wesen und seine ganze Stellung in der Welt gebildet und entwikelt hat. – Das Weib erwartet, verlangt sie, gibt sich ihr hin. Das ist seine Funkzjon. Und warum soll in dieser äußerlich paßiven Rolle etwas Erniedrigendes liegen? Für diejenigen Frauen, die der Psichjater als natura frigida bezeichnet, mag es ja sein. Gut, so sollen sie es eben bleiben laßen. Aber für jedes, wahrhaft erotisch empfindende Weib liegt gerade ein unendlich feiner Reiz darin, den stärkeren Gegner im Liebeskampf anzureizen, zu versuchen und sich ihm dann in selbstvergeßnem Rausch zu schenken. Und sie wird im entscheidenden Augenblik durchaus nicht das Gefühl einer Niederlage haben – im Gegenteil, die Bejahung des Lebens ist immer ein Siegesgefühl.

Wir haben vorhin gesagt, daß das Wesen und die Stellung des Mannes im Großen und Ganzen durch diese eine Urleistung bestimt wird. Alle Angriffsposizjonen und Angriffsberufe haben von jeher ihm zugehört, Soldat, Preiskämpfer, Polemiker etc. Es heißt nicht umsonst im Sprichwort: „den Mann stellen“. Es wird niemand in den Sinn kommen, statt deßen zu sagen: „das Weib stellen“, oder „den Menschen stellen“.

Aehnlich verhält es sich auch mit anderen, auf anatomischen Unterschieden begründeten Leistungen, z. B. dem Baß- und Tenorsingen, das auf der mit der Geschlechtsdifferenz gegebenen Anlage des Kehlkopfes und der Stimmbänder beruht, oder dem Schnelllaufen, das auf der senkrechten Stellung der Oberschenkel beim Manne beruht. – Mit der häufigeren Uebung im Angriff und in allen gewaltsamen Leistungen ist dann selbstverständlich auch eine höhere Ausbildung (und Vererbung) der fisischen Kraft und der Muskulatur gegeben.

Wir wollen gewiß nicht bestreiten, daß es manche Leistungen gibt, deren beide Geschlechter fähig sind, wie mäßige Muskelanstrengungen, Holzspalten, Wassertragen, überhaupt alle häuslichen Arbeiten, die ja immerhin ziemliche Kraft erfordern, auch Radeln, Berge steigen etc.

Wo es aber auf schwere körperliche Leistungen ankomt, liegt die Sache doch wesentlich anders. Man braucht ja nur einmal diese schwerarbeitenden Frauen der unteren Stände anzuschauen, die außerdem noch jedes Jahr ein Kind zur Welt bringen, um einzusehen, daß der weibliche Körper dem nicht gewachsen ist, daß er dabei aus der Form und allmählig zu Grunde geht. Uebrigens sieht man selbst bei dem Landvolk, wo doch die weibliche Arbeitskraft nach

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(22)_003.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)