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Möglichkeit ausgenuzt wird, nur selten, daß die Frauen zu gewißen Kraftleistungen, beispielsweise zum Pflügen, herangezogen werden, ebenso, daß unter den Akrobaten, Atleten etc. das weibliche Geschlecht nur in der Minderheit vertreten ist. Alle diese Tatsachen deuten doch darauf hin, daß das Weib, mit einigen wenigen Ausnahmen vor allen Leistungen, die ein hohes Maas von Muskelkraft, Schnellkraft und Behendigkeit erfordern, zurückschrekt. Und Ausnahmen stoßen bekantlich die Regel nicht um.

Wenn wir auf das geistige Gebiet übergehen, so klingt die Behauptung der Frauenrechtlerinnen, daß die Frau dasselbe zu leisten imstande sei wie der Mann, immerhin etwas plausibler, aber wol hauptsächlich deshalb weil das Gegenteil schwerer zu beweisen ist. Es komt ja schließlich heutzutage öfters vor, daß Frauen troz mangelhafter Vorbildung irgend ein Studjum glänzend absolviren, also auf einem oder dem andren geistigen Gebiet dasselbe fertig bringen wie ein Mann. Aber, – es ist ein großes Aber dabei, das den ganzen Beweis zu nichte macht: das Leben komt zu kurz dabei. Der Mann ist neben seinem Studjum oder Beruf noch imstande zu genießen, zu lieben, seine Funkzjon als Mann auszuüben. Das kann die Frau nicht. Sobald sie zum Beispiel Mutter wird, ist es aus mit dem Studjum oder wenigstens legt die Mutterschaft ihr starke Beschränkungen auf. Die Frau, die mit dem Manne erfolgreich konkuriren will, kann also wiederum nicht als auf gleicher Stufe mit ihm stehend betrachtet werden. Greift doch nur in’s volle Menschenleben hinein, denkt Euch einen fetten, fröhlichen Corpsstudenten, der Tag und Nacht im Wirtshaus sizt, trinkt, liebt, paukt und es doch schließlich zum Arzt, Anwalt oder sonst irgend einem Beruf bringt, und daneben eine Studentin, die Studentin trinkt nicht, liebt nicht, sie lebt nur in ihrer Arbeit und für ihre Arbeit, als Weib zählt sie nicht mehr mit. Der liebenswürdige Tipus der studierenden Geliebten, den Wolzogen in seiner Claire de Vries im „Dritten Geschlecht“ schildert, begegnet uns im Leben fast nie. Wir lernen in der Praxis immer nur überarbeitete, nervöse Berufsfrauen kennen, die der Welt und ihrer Lust abhold sind, weil sie eben beides nicht miteinander vereinigen können. Es soll das nicht etwa eine Verhöhnung der arbeitenden Frauen, d. h. derjenigen, die wirklich arbeiten müßen, sein. Die Energie und die Selbstverleugnung, die manche von ihnen an den Tag legen, mag ja höchst anerkennenswert sein, aber ein erfreuliches Bild ist es nicht.

Dabei wird die Zulaßung zum mänlichen Studjum und den Berufen mit einer Vehemenz verfochten, als ob der Menschheit bedeutend auf die Beine geholfen würde, wenn es weibliche Aerzte, Anwälte, Richter etc. gäbe. Besonders weibliche Aerzte „weil das Schamgefühl mancher Frauen sie hindert, sich einem mänlichen Arzt anzuvertrauen.“ Warum sucht man nicht lieber den Frauen dieses falsche Schamgefühl abzugewöhnen, hinter dem doch nur Dummheit oder Lüsternheit stekt. Eine normal empfindende Frau schämt sich gewiß weit eher vor einem weiblichen Arzt.

Und weibliche Richter und Anwälte – ich glaube, der Gedanke, vor einem Forum von sittenstrengen Geschlechtsgenoßinnen abgeurteilt zu werden, möchte zahllose Sünderinnen zum Selbstmord oder zum Meineid treiben.

Das Argument, daß einer der genanten Berufe die Frau befähigen soll, sich eine günstigere, pekunjäre Lage zu schaffen, steht ebenfalls auf thönernen Füßen. Die blaße Möglichkeit nach absolvirtem Studjum einen solchen Beruf überhaupt zu erlangen, ist wenigstens

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Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(22)_004.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)