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die sich ausleben will, muß den Kampf gegen eine erdrükende Uebermacht, gegen die Gesellschaft aufnehmen. Eine Frau, die eine Vergangenheit und womöglich noch eine Gegenwart hat, ist vor der Gesellschaft gleich dem Manne, der im Zuchthaus geseßen ist.

Das einzige künstlerische Gebiet, wo die Frau wirklich Gleichwertiges mit dem Mann leistet, ist jedenfalls die Bühne – der eklatanteste Beweis, daß sie nur da etwas zu sein und zu leisten vermag, wo sie ihrem Geschlecht und ihrer aus demselben hervorgehenden Veranlagung keinen Zwang aufzuerlegen braucht. Und das ist von allen Künsten nur bei der dramatischen der Fall; das Materjal, mit dem sie hier zu arbeiten hat, ist sie selbst, ihr eigner Körper, ihre Stimme, ihre Bewegungen, und der Mann ist hier nicht der Konkurent, mit dem sie ihre Kräfte meßen soll, sondern wie im Leben der Partner, der Mitspielende. Und ferner, was von großer Bedeutung ist, die Schauspielerei ist keine eigentlich produktive Kunst, es handelt sich nur um die Auffaßung, das Sich-hineinleben, Nachempfinden. Wir haben große Schauspielerinnen und große Tänzerinnen, aber keinen bedeutenden weiblichen Komponisten oder Dramatiker.

Alles das zeigt uns so deutlich, daß die Natur sich nicht dreinreden läßt. Und wo man ihr dennoch dreinredet, da rächt sie sich. Was komt denn dabei heraus, wenn man es wirklich durch Gewohnheit und Training dahinbringt, daß es im nächsten Jahrhundert Frauen gibt, die ebenso schwere Lasten heben oder (pardon, messieurs!) ebensoviel Ballast im Gehirn herumschleppen wie mancher hochgelahrte Mann? Daß die Frau selbst nichts von ihrem Leben hat, daß die Gaben des Genußes, die die Natur in sie gelegt hat, ungenoßen verkümmern, daß sie für den Mann allen Reiz verliert und die Welt immer langweiliger und geschlechtsloser wird?

Das Eine ist ja richtig, und das mag Jeder, der nicht die Gottesgabe besizt, die Dinge so zu nehmen, wie sie nun einmal sind, als Ungerechtigkeit empfinden. Der Mann hat die Stellung die ihm von Naturwegen zukomt, er ist überall der Herschende, Angreifende, in allen Lebenslagen, in allen Berufen. Er hat sozusagen das Element, und die Möglichkeit, in dasselbe zu gelangen, ist gegeben. Er kann leichter zu seinem Recht als Mann und als Mensch kommen wie die Frau zu ihrem Recht. Sie ist nicht zur Arbeit, nicht für die schweren Dinge der Welt geschaffen, sondern zur Leichtigkeit, zur Freude, zur Schönheit – ein Luxusobjekt in des Wortes schönster Bedeutung, ein beseeltes, lebendes, selbstempfindendes Luxusobjekt, das Schuz, Pflege und günstige Lebensbedingungen braucht, um ganz das sein zu können, was es eben sein kann. Für den harten Kampf mit dem Dasein sind wir nicht gemacht, das weiß auch jede Frau, die durch die Verhältniße zu solchem Kampf gezwungen ist. Sie leidet darunter, weil sie fühlt, daß es gegen ihre Natur ist. Wenn wir die kurze Zeit des Lebens damit ausfüllen, Männer zu lieben, Kinder zu bauen und an allen leichten erfreulichen Dingen der Welt teilzunehmen, so haben wir genug getan, und dafür, daß wir unsre Kraft und unsren Körper den Männern und Kindern geben, verdienen wir, daß man uns das Leben äußerlich so leicht gestaltet wie nur möglich. Wir sind dazu da, es gut zu haben und uns nicht plagen zu müssen. Aber statt deßen sind Tausende und Abertausende von Frauen gezwungen, sich um das tägliche Brod zu schinden und abzurakern, sich Körper und Geist durch übermäßige Anstrengungen zu zerstören und auf ihren Reiz und ihre Funkzjon als Weib ganz oder teilweise zu verzichten. Darin liegt das Verkehrte, das Unmenschliche, die Grausamkeit gegen das

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Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(22)_006.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)