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trotzdem die letztere einen so weiten Vorsprung gewonnen hat, so ist dies in letzter Linie noch anderen Gründen zuzuschreiben, als der umsichtigen Thätigkeit des Generaldirectors Bellingrath, des Schöpfers fast aller Kettenbetriebe in Deutschland. Unvollkommenheiten in der Bauart der Seilschiffe und in der Anordnung der Maschine und Bewegungsvorrichtungen waren es hauptsächlich, welche einer allgemeinen Einführung widersprachen, obgleich selbst von den Vertretern der Kette die theoretischen, später voraussichtlich die Oberhand gewinnenden Vorzüge des Seiles willig anerkannt wurden. Bellingrath schreibt hierüber in seinem 1873 erstatteten Gutachten über die beabsichtigte Einführung einer Kettenschiffahrt auf dem Neckar:

„An sich betrachtet, besitzt das Seil vor der Kette bedeutende Vorzüge: die des geringeren Gewichtes, der grösseren Billigkeit und grösseren Sicherheit. Es ist darum erklärlich, wenn im allgemeinen und nach oberflächlicher Betrachtung die Anwendung der Kette als ein überwundener Standpunkt betrachtet wird und auch für Touagezwecke sich die Aufmerksamkeit besonders auf die Anwendung des Seils richtet.“

An einer anderen Stelle spricht das Gutachten die Ueberzeugung aus, dass es die Aufgabe der Zukunft sein muss, die Kette mit Hülfe zweckmässig gebauter Schiffe durch das Seil zu ersetzen.

Allem Anschein nach ist es nunmehr dem Ingenieur Wernigh in Berlin gelungen, durch eigene Erfindungen und wesentliche Verbesserung des Vorhandenen jenem Ziele erheblich näher zu kommen. Die Wichtigkeit des Gegenstandes für die Entwicklung unserer Flussschiffahrt wird es rechtfertigen, die Neuerungen kurz zu besprechen und in weiteren Kreisen bekannt zu machen. Ueber das allgemeine Verhältniss zwischen Seil- und Kettenschiffahrt und deren beiderseitige Vor- und Nachtheile mag hinweggegangen werden, da dieselben hinreichend bekannt oder anderweitig behandelt sind.

Die bisher nicht erfüllten Anforderungen, welche man an ein Seilschiff stellen muss, wenn es auch für das Befahren ungünstiger Stromstrecken den Kettendampfern ebenbürtig sein soll, lassen sich in folgenden, zum Theil von einander abhängigen Punkten zusammenfassen:

1. Führung des Seiles über die Mitte des Schiffes, wodurch

a) eine gleichmässige, erhöhte Steuerfähigkeit und
b) bei der dann möglichen, ebenmässigen Lastvertheilung ein geringer Tiefgang erreicht wird.

2. Erzielung eines guten Ablaufs des Seiles vom Schiff.

Die Schwierigkeit, dieses letzte und hauptsächlichste Erforderniss zu lösen, ist es allein gewesen, welche die Führung des Seiles über die Mitte des Dampfers bisher verhinderte. Bei den Kettenschiffen genügt die erheblich grössere Schwere der in den Kettenkasten und kurz hinter dem Schiff auf den Flussgrund zurückfallenden Kette, um dieselbe ohne Schwierigkeit und unter Erzeugung der nöthigen Endspannung – welche erforderlich ist, um, vermehrt durch die Reibung auf den Trommeln, die dem aufgewendeten Zuge entsprechende Anfangsspannung in der vor dem Dampfer befindlichen Kette zu bilden – von den Trommeln und dem Schiff abzuführen. Das Drahtseil ist jedoch sehr viel leichter und besitzt ausserdem eine Steifigkeit,

Empfohlene Zitierweise:
Ministerium der öffentlichen Arbeiten (Hrsg.): Centralblatt der Bauverwaltung (1855). , Berlin 1885, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZBBauverw_1885_36.pdf/6&oldid=- (Version vom 7.3.2021)