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Und wiederum, mit welchen Sophismen wagt man die allerdings schwerwiegende Stellung Macaulay’s zum Normalarbeitstage zu bekämpfen? Wenn er gegenüber dem landläufigen Einwurf, daß der Staat seine Bürger in ihrer Leistungsfähigkeit nicht beschränken dürfe, daran erinnert, daß dieß ja auch durch das Verbot der Sonntagsarbeit, durch die Verpflichtung zum Militärdienste geschehe: glaubt man ihn wirklich damit zu widerlegen, daß man die militärische Zwangsjacke als „ein Erbstück des dunkeln Mittelalters“, die Heiligung des Sonntags als eine „Ueberlieferung mosaischer Satzungen“ – kurz beide Institutionen als veraltete zu verdächtigen sich bemüht?

Und ist nicht, von all dem abgesehen, und abgesehen selbst von der Quelle, aus welcher der stationäre Einwurf gegen den Normalarbeitstag stammt – man dürfe die Leistungsfähigkeit des mündigen Individuums nicht bevormunden, man dürfe dem freien Manne das Recht an die Arbeit nicht rauben – ist nicht auch dieser Einwurf an sich schon der allergrößte Sophismus?

Wem ist es je eingefallen, dem Arbeiter, nachdem er eine gewisse Zeit des Tages im Dienste seines Arbeitgebers zugebracht, zu verbieten, daß er zu Hause noch arbeite, Holz hacke, den Garten besorge, überhaupt für sich und in seinem Interesse arbeite so viel und was er nur wolle?

Wahrhaftig nicht die Arbeitslast, nicht die Arbeitskraft des freien Mannes will irgend Jemand beschränken: was vielmehr der Staat beschränken will und soll, das ist die Ausbeutung dieser Arbeitslust, dieser Arbeitskraft zu

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Carl Zehnder: Aerztliche Glossen zum Fabrikgesetz-Entwurf : mit Anhang. Cäsar, Zürich 1876, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZehnderAerztlicheGlossen.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)