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nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Vertheilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir gehabt zu haben. Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen und Cocosnußbäume; weiter oben stechen Bananengebüsche von Drachenbäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben beflanzt, die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüthen bedeckte Orangenbäume, Myrthen und Cypressen umgeben Capellen, welche die Andacht auf freistehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall sind die Grundstücke durch Hecken von Agaven und Cactus eingefriedigt. Unzählige kryptogamische Gewächse, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen, klaren Wasserquellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt ist, genießt man hier eines ewigen Frühlings und Sommers; wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Bevölkerung der Küste ist hier sehr stark. Sie erscheint noch stärker, weil Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der Landschaft noch erhöht.“

Groß und herrlich erhebt sich über diesen blühenden Paradiesgarten die ungeheure Gebirgsmasse des Pik, von dessen schneebedecktem Gipfel lange, schwarz-violette Bergrücken sich in das blaue Meer hinabsenken. Sein Anblick auf dieser Seite der Insel ist weit schöner, als auf der Südküste bei Santa Cruz. Denn man übersieht mit einem Blick eine ganze Reihe von den ungeheuren langgestreckten Gebirgsketten, die von dem Fuße des alle überragenden Vulkans sich zum Meere herabziehen. Die fleckenlose Schneehaube des Gipfels und die dunkel-violette Farbe der darunter hingestreckten Bergrücken stehen in reizendem Contrast zu dem frischen Grün der Küste und der bunten Blüthenpracht des Vordergrundes. Wie Humboldt richtig bemerkt, „ist der Anblik dieses Berges nicht allein wegen seiner imposanten Masse anziehend; er beschäftigt auch lebhaft den Geist und läßt uns über die geheimnißvollen Quellen der vulkanischen Kräfte nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein Lichtschimmer auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöschenden Feuers.“

Auf dem reizenden Wege von Sauzal nach Orotava passirten wir die Ortschaften Matanza und Vittoria. Matanza bedeuted Blutbad und erinnert an die Niederlage, welche die europäischen Eroberer der Inseln hier durch die heldenmüthige Tapferkeit der Eingebornen erlitten. Vittoria, Sieg, dagegen erinnert an die blutige Rache, welche die Spanier in einem bald darauf folgenden Siege an den Guanchen nahmen. Die Eroberungsgeschichte der canarischen Inseln ist im höchsten Grade

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_012.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)