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traurig und treibt den Europäern die Schamröthe in’s Gesicht. Sie wiederholt im Kleinen das schauerliche Drama der Eroberung Mexicos. Hier wie dort gewannen die frechen europäischen Eindringlinge durch die Ueberlegenheit ihrer Feuerwaffen und durch eine Reihe der niederträchtigsten Ränke und Vertragsbrüche den Sieg über die eingeborene Bevölkerung. Diese kämpfte für die Freiheit und für den väterlichen Boden viele Jahre mit dem bewunderungswürdigsten Heldenmuthe. Selbst die Berichte der nichtswürdigen christlichen Eroberer schildern die Tugenden des heidnischen Guanchen-Volkes, eines aus Nordafrika eingewanderten Berberstammes, im hellsten Lichte und wissen als Entschuldigung für ihre haarsträubenden Gräuelthaten weiter Nichts anzuführen, als daß sie die heidnischen Eingebornen mit den Segnungen des Christenthums hätten beglücken wollen. Die Guanchen zogen den Heldentod dieser Beglückung vor, und Schritt für Schritt die heimathliche Erde auf das Hartnäckigste vertheidigend, wurden sie von den Spanier zuletzt buchstäblich ausgerottet. In der jetzigen Bevölkerung des canarischen Archipels, den Nachkommen der normannischen und spanischen Conquistadores, ist kaum hier und da eine Spur des alten Guanchen-Bluts erhalten.

Zwischen Vittoria und Orotava überschritten wir mehrere von den ungeheuren Felsenschluchten oder Barrancos, die für die canarischen Vulkane sehr charakteristisch sind. Diese tief klaffenden Felsenspalten, welche sich strahlenförmig in großer Anzahl von dem Gipfel des Pik bis zum Meere herabziehen, scheinen oft in das Innere des feuerspeienden Berges hineinzuführen. Sie verdanken ihre Entstehung nicht der Thätigkeit des Wasser, sondern des Feuers. Es sind oberflächliche Risse, welche während der langsamen Abkühlung der feurigflüssigen Gebirgsmasse in ihrer erstarrenden Rinde sich bildeten.

Den Namen Orotava führen gegenwärtig zwei verschiedene Ortschaften, die Hafenstadt, el Puerto, an welcher der botanische Garten liegt, und die größere Bergstadt, la Villa, welche eine Stunde höher am Thalgehänge angesiedelt ist. Da wir erst später Puerto Orotava besuchen wollten, blieben wir in Villa Orotava, wo wir auch dem Pik-Gipfel eine Stunde näher waren. Unser erster Ausgang, noch am Abend unserer Ankunft, galt dem weltberühmten Drachenbaum von Orotava, der ein Alter von mehreren tausend Jahren besitzt. Schon 1402, als die Spanier die Insel eroberten, war der Stamm so dick und hoch, als jetzt. Er ist nur gegen 70 Fuß hoch. Aber der Durchmesser des Stammes über dem Boden beträgt nahe an 40 und der Umfang über 70 Fuß. Noch in 10 Fuß Höhe hat der Stamm 12 Fuß Durchmesser. Die Eroberer errichteten im 15. Jahrhundert in dem hohlen Stamme einen Altar, vor welchem Messe gelesen wurde. Schön

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_013.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)