Seite:Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin V 115.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Haarwuchs und Schädelbau sehr verschieden erscheinen und die häßliche Sitte nicht kennen, sich die unteren Schneidezähne auszubrechen, was von den Schilluk im Norden an die Haupteigenthümlichkeit aller sogenannten Neger-Stämme[1] bildet, dagegen eine nicht geringere Verunstaltung durch Spitzfeilen aller Schneidezähne vorzunehmen pflegen. Das Ausbrechen der unteren Schneidezähne (beiden Geschlechtern eigen) geschieht beim Zahnwechsel, und obgleich ohne wahrnehmbar erbliche Folgen auf den Schädelbau bleibt es dennoch nicht ohne Einfluß auf denjenigen des Individuums. Es vermehrt die Prognathie bis zu thierischen Graden, und bewirkt, wie es scheint, sogar eine Knickung[2] der Schädelbasis nach aufwärts, und da hier diese Zähne ursprünglich schon eine nach außen schräge Stellung haben, werden sie durch den einseitigen Druck beim Kauen und den Mangel eines correspondirenden Halts immer mehr von ihrer vertikalen Richtung abgebracht, bis sie, wie ich deutlich bei vielen älteren Individuen sah, völlig horizontal[3] hervorstarren, von den Lippen nicht mehr hinreichend gedeckt werden können, und strahlenförmig durch Lücken von einander getrennt erscheinen, welche ebenso breit als die Zähne selbst sind, dem Kopfe ein Aussehn geben, wie, der Vergleich drängte sich mir unwillkürlich auf, ein Schweinskopf im Schaufenster, den die ingeniöse Hand eines Wurstlers mit Mandeln oder Speckstücken bespickt. So groß auch die sichtbaren Folgen dieser Verstümmelung bei dem Einzelnen sein mögen, auf die Fortgestaltung der Race scheint sie vorderhand keinen Einfluß zu üben. Die betreffenden Körpertheile sind zu edel, um ohne Weiteres äußeren Einflüssen zu gehorchen, eben so wenig, wie man durch consequentes Abbrechen eines Keimblattes aus einer dicotyledonischen Pflanze eine Monocotyledone zu züchten vermöchte. Da sieht man Knaben mit völlig regelmäßigen unteren Schneidezähnen und mit oberen, welche in einem den Verhältnissen entsprechenden Grade vertical erscheinen. Auch fehlt es nicht an Individuen, welche in den Seriben groß gezogen wurden, und welche nichts Ungewöhnliches an ihrem Gebiß verrathen.

Noch nicht im Stande, meine an den Eingeborenen angestellten Körpermessungen mitzutheilen, kann ich wenigstens jetzt schon auf die Eigenthümlichkeit dieser Race aufmerksam machen, welche in einem auffallenden Uebergewicht der Oberkörper-Länge besteht, während


  1. Unter den Mattu indeß sollen nicht Alle diese Sitte theilen.
  2. Nach Virchow Ursache der Prognathie, während Welker letztere der Stellung der Schädelbeine zuschreibt.
  3. Diese Abnormität läßt sich zum Theil deutlich an einigen der von mir gesammelten Schädel wahrnehmen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_115.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)