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Nahrungs-Verhältnisse der Tibbu Rešāde.

Das Land „Tu“ ist, wie aus dem Vorhergehenden erhellt, von kläglicher Armuth. Der ganze Westen ist aller und jeder Bodencultur baar; Alles, was in dieser Beziehung geleistet wird, concentrirt sich auf das eine Thal Bardaï. So führen natürlich die Bewohner der westlichen Thäler eine äußerst kümmerliche Existenz, ein Leben voller Sorgen um das tägliche Brod (natürlich figürlich gebraucht, denn dem Brode ähnliche Erzeugnisse kennen sie nicht), ja ein Leben voller Hunger. Fast ihre ganzen eigenen Subsistenzmittel bestehen in ihren großen Ziegenheerden, die ihnen nach den Regengüssen, die meist im Herbst statthaben und in keinem Jahre gänzlich fehlen, durch ihre Milch in Folge des frischen Kräutergenusses für lange Zeit das Leben garantiren; in den Samen der Coloquinthen, die sorgfältig eßbar gemacht werden, in den Schalen der Dūmfrucht, in den Beeren des Síwak-Strauches, und endlich in dem Samen des hohen Knotengrases (Burekkeba im Arabischen, Gúmosī in der Tedāsprache) der als Getreide behandelt wird. Man sieht, Alles muß herhalten. Trotzdem erlauben sie sich keinerlei Fleischgenuß, es müßte denn das Fleisch eines unbrauchbaren Kameels oder das einer Antilope oder Gazelle sein, wenn es einmal ausnahmsweise ihren halbverhungerten Bastard-Windhunden gelungen ist, eine zu ergreifen, oder es müßte eine Hochzeit oder eine öffentliche Opferfeier zur Erflehung von Regen oder eine andere Familienfeierlichkeit ihnen die Verpflichtung auferlegen, eine Ziege zu schlachten.

Der Sommer ist ihre härteste Zeit, und wenn in stiller Sommernacht das Klopfen der Dūmfrucht, deren Schale, fast so hart wie der Kern, erst durch gründliche Bearbeitung mit Steinen genießbar wird, zu mir herüber drang, so wußte ich, daß der Hunger hart in den Eingeweiden des emsigen Klopfers nagte. Die ausschließliche Nahrung der Schale der Dūmfrucht ist nur ein langsamer Hungertod, von dem auch die Beerchen des Síwak, von der Größe unserer sogenannten „Corinthen,“ nicht erretten können. Jetzt nach überstandenen Leiden kann ich mich kaum darüber wundern, daß die Unglücklichen, welche ihr Geschick in dieser verhängnißvollen Jahreszeit im unwirthlichen Westen zurückgehalten hatte, als ich daselbst erschien, wie hungrige Wölfe über meine Vorräthe herfielen und mit der Zähigkeit von Schmarotzerpflanzen sich an mich klammerten, bis zu dem Augenblick, wo es ihnen gelungen war, mich zu ihrem sommerlichen Normalzustande zu reduciren.

Sind sie einmal genöthigt eigene Ziegen zu opfern, oder gezwungen, ein Kameel zu schlachten, oder gelingt es ihnen, an fremdem

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_233.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)