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Fezāner, in denen viel Negerblut steckt. Schon die ernsten Physiognomien der Tibbu, ihr Ausdruck versteckter Berechnung, ihre verschlossenen Züge scheinen gar nicht in dieses Volksleben zu passen.

Trotzdem sind sie „große Freunde der Rede,“ ja geschwätzig. Da sitzen sie Tag für Tag, Abend für Abend, und discutiren und raisonniren über Ghazien und ihre Streitigkeiten im Lande selbst, bis ein Diebstahl, eine Beleidigung, eine Verwundung oder gar ein Mord das Interesse der Actualität gewinnt und ihnen für Wochen Gelegenheit giebt, ihr argumentirendes Rednertalent zu üben. Dies ergeht sich nicht allein, sobald es sich um ihr eigenes Interesse handelt, in Spitzfindigkeiten und Nebenumständen, um die Hauptfrage in den Hintergrund zu drängen, sondern basirt sich auf ein eigensinnig gewaltsam verdrehtes Rechtsbewußtsein[WS 1]. Es ist trostlos, sie dann in ihrer Discussion zu beobachten, aber geradezu verzweifelt, selbst darin verwickelt zu sein. Jeder hält mit einer Zähigkeit, einem Eigensinn seine Schein-Argumente fest, welche den Fremdling endlich zu verzweifelter Resignation treiben. Dabei vertheidigt er sie nicht offen, Auge in Auge, sondern bohrt diesen „Spiegel seiner Seele“ (!) entweder in den Sand vor ihm, oder läßt ihn vague in die Ferne schweifen, aber keinenfalls auch nur eine Spur von dem verrathen, was in ihm vorgeht.

Ist der Umgang mit Arabern ihrer Doppelzüngigkeit, ihres Mangels an Aufrichtigkeit wegen unerfreulich, der Verkehr mit den Tibbu Rešāde ist geradezu unheimlich. Niemand kennt Billigkeit, höchstens starres Recht; Niemand eine andere Norm für seine Meinung und Handlungsweise, als Interesse, Habsucht, höchstens noch Rachegefühl. Dem unterjochen sie ihr Raisonnement, dem zu Liebe scheinen sie vor sich selbst die eigene Ueberzeugung zu fälschen, sich hartnäckig aller besseren Ueberzeugung verschließend. In Fragen, welche nicht ihr eigenes Interesse berühren, sind sie verständig und urteilsfähig genug; doch, sobald dies berührt wird, ist es mit ihrem klaren Urtheil zu Ende.

Daß die Tibbu Rešāde habsüchtig und stets auf ihren Vortheil bedacht sind, theilen sie im Allgemeinen wohl mit allen von der Natur ihres Landes stiefmütterlich behandelten Völkern, welche auf etwas primitiver Culturstufe stehen geblieben sind. Doch bestehen in dieser Eigenschaft bedeutende Gradverschiedenheiten. Ihr ernster Charakter, welcher Nichts mit dem der meist sorglosen Kanuri gemein hat, und die Zähigkeit ihrer ganzen Natur accentuiren dieselbe bei ihnen über Gebühr. Sie lassen sich in der That keine Gelegenheit entgehen, ihrem Vortheil zu dienen; ihr ganzes Dichten und Trachten ist auf ihn gerichtet. Trotzdem sie einen gewissen Hang zur Eitelkeit haben,


  1. Vorlage: Rechtsbewustsein
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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_308.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)