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Ich verabreichte eines Tages einer nahen Verwandten des Sultans, einer älteren Dame, Medicamente, und hundert Schritt von meinem Zelte organisirte das dankbare Geschöpf einen Steinangriff der versammelten Straßenjugend auf dasselbe. Mein Beschützer Arami, Neffe des greisen Dardeï (Sultan), war herzlos wie die Uebrigen; doch ordnete er mit seltenem Geschick seine Gefühle seinen habsüchtigen Speculationen unter, und verdanke ich seiner energischen Wahrnehmung meiner Interessen nur diesen Schutz, aber keineswegs seinem Wohlwollen.

Diese ewig speculirende Selbstsucht markirt ebenfalls ihre Beziehungen unter einander und erzeugt die Heimlichkeit, Verschlossenheit, Unwahrhaftigkeit ihres ganzen Wesens und den Hang zum Diebstahl, dem sie mit Gewandtheit und Schlauheit huldigen.

Zur milderen Beurtheilung dieses unvortheilhaften Bildes darf man jedoch die dieser moralischen Verkommenheit zum Grunde liegenden Umstände nicht vergessen. Neben der Armuth ihres Landes und den Entbehrungen, welche ihnen dieselbe auferlegt, muß uns vorzüglich die Thatsache gegenwärtig bleiben, daß die unglücklichen Tubu von jeher neben ihrer ohnehin peniblen Existenz den Verfolgungen und der Plünderungssucht ihrer mächtigeren Nachbarn zum Opfer fielen. Die Sultane und Gouverneure von Fezān ergossen periodisch ihre Soldaten, welche damals zahlreicher waren als jetzt, zur Sklavenjagd über Tibesti, Wadjanga, Bornu und Kanem; die Araber der großen Syrte ließen Ghazia auf Ghazia folgen, und die Tuareg, die ihnen im kriegerischen Wesen überlegen sind, betrachteten sie nur zu oft als leichte Beute.

Der beste Beweis, daß bei friedlicheren und harmloseren Beziehungen zu den Nachbarn und inmitten einer gesetzlicheren, geordneteren Umgebung auch die wilden Tibbu Rešāde ihren Charakter wesentlich modificiren würden, liegt in der Thatsache, daß diejenigen von ihnen, welche das südliche Fezān bewohnen, sich den immerhin geregelteren Zuständen dieses Landes nicht allein mit Leichtigkeit fügen, sich gewöhnen, in ihren Verhandlungen ehrlicher zu sein und Wort zu halten, sondern schnell im Ganzen mildere Sitten adoptiren, sich später nur schwer entschließen, nach Tibesti zurückzukehren, und endlich nur mit Furcht an die Wildheit und Treulosigkeit ihrer Landsleute denken. Doch freilich sind auch sie noch wegen ihrer Lügenhaftigkeit berüchtigt.

Ihr politisches Gemeinwesen ist nicht geeignet, in ihnen Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit zu entwickeln. Tradition und Usus halten es mit lockerem Bande mühsam zusammen.

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_310.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)