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nicht durch schwerfällige Karavanen, wie sie einst nach Myos Hormos oder Berenice zogen, sondern durch rasche Dampfer, die frei das rothe Meer durchschneiden, befreit von der Tyrannei der Monsune und ihre Limitirung auf eine Jahresreise.

Der Welthandel im weitesten Sinne des Wortes muß stets um Indien und dessen Archipel, als den Schwerpunkt der Anziehung, gravitiren, um das Indien des Ostens, das für den kostbaren Reichthum seiner Produkte selbst nicht im westlichen Indien einen Rivalen zu fürchten braucht und dieses weit durch seine dichtgedrängte Bevölkerung übertrifft. Nach Indien ist jetzt wieder der kürzeste der dorthin führenden Wege geöffnet, und zwar mit größeren Erleichterungen, als je zuvor, und wäre derselbe wahrscheinlich auch niemals verlassen worden, hätte nicht in den damaligen Constellationen des politischen Himmels der Halbmond Mekka’s in gefährlicher Opposition zum christlichen Kreuze gestanden. Ein Blüthenkranz abendländischer Ritter war an den Mauern der heiligen Städte, war in egyptischer Wüste gefallen, der unaufhaltsam nach Westen dringende Islam warf alle Angriffe siegreich zurück, und nur dem nachgiebigen Kaufmann italienischer Häfen gelang es, sich hie und da hindurch zu winden, die Märkte Malabar’s oder Khitai’s zu erreichen. Als aber einer der Wege nach dem andern verlassen werden mußte, als immer unerträglicher wurde der Hohn, mit dem übermüthige Mamluken die Comptoire von Alexandrien bedrückten, als jetzt auch der rohe Osmane das goldene Thor des Pontus schloß, da wurden die Nationen Europas zu erhöhten Kraftanstrengungen getrieben, und da begannen, vollendeten sie jene Seefahrten, die mit ihren gebrechlichen Schiffen nie gewagt sein würden, wenn nicht durch die Noth erzwungen. In Mischung ebenbürtiger Elemente, in ihrer tausendjährigen Gährung seit den Völkerwanderungen war Alles zur Reife vorbereitet, und mit einem Zauberschlage brach der Glanz der germanisch-romanischen Rasse hervor, der jetzt den Globus überstrahlte, wie einst die hellenisch-römische das Becken des Mittelmeeres. Im Einzelnen verlor damals der Süden, was der Westen und Norden gewonnen. Die Häfen Genua’s und Venedigs verödeten, als sich Lissabon und Cadiz, dann Antwerpen, London und Hamburg mit Masten füllten, aber jetzt, wo es sich auf allen Küsten gleichmäßig regt, kann ein ähnlicher Rückschlag, wie ihn Einige durch Eröffnung des Suez-Canals hoffen oder fürchten, nach der andern Seite nicht wieder eintreten. Der Welthandel rechnet gegenwärtig mit so gewaltigen Größen, daß ganz Europa nur als Einheit zählt, und der Raumunterschied zwischen Nordsee und adriatischem Meere verschwindet. Nur die höhere Energie, der sichere Blick, die raschere That wird jetzt den Sieg davon tragen in dem die Völker beglückenden Wettstreit des Handels.

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_502.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)