Seite:Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure Band XIII Heft 12 1869 p737-738.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Ueber Ketten- und Seilschifffahrt mit Rücksicht auf die Versuche zu Lüttich im Juni 1869.
Von R. Ziebarth.
(Vorgetragen auf der Hauptversammlung zu Stettin am 29. August 1869.)
(Hierzu Tafel XXV und XXVI.)

Die durch die Anwendung der Dampfkraft auf die Landtransportmittel erreichten Vortheile: eine größere Schnelligkeit und Sicherheit des Betriebes und die dadurch ermöglichte Massenbeförderung ließen sich durch die einfache Uebertragung auf die Wasserfahrzeuge, wenigstens für die Binnenschifffahrt, nicht in gleicher Weise erzielen. Denn einerseits gaben die mit Dampfkraft versehenen Schiffe wegen der Beweglichkeit der Theile des widerstehenden Mittels einen nur sehr kleinen Nutzeffect, der sich bei schmalen und flachen Wasserläufen durch den Aufstau des Wassers vor dem Schiffe und die Verminderung der Wassermasse hinter demselben noch bedeutend verringerte, andererseits übten die Fortbewegungsmittel der Schiffe, Schaufelräder oder Schraube, auf die Ufer der Flüsse und Canäle einen so nachtheiligen Einfluß aus, daß im Interesse der Erhaltung der Ufer auf manchen Canälen die Dampfschifffahrt überhaupt nicht gestattet wurde. Es galt daher, sowohl für den Angriff der Kraft einen widerstandsfähigeren Stützpunkt zu finden, als auch eine derartige Anordnung der bewegten Theile zu treffen, daß diese nicht das Wasser in einer die Ufer benachtheiligenden Weise gegen dieselben trieben. Beides erreichte man nach mehrfachen Versuchen durch Anwendung eines Seiles, welches, für gewöhnlich auf dem Grunde des Wasserlaufes liegend, über Rollen auf dem Schiffe mit so viel Reibung geführt wurde, daß bei Bewegung dieser Rollen das Schiff sich an dem Seile entlang zog. Je nach der Stärke der angewendeten Maschinenkraft und der Stärke des Seiles bei gegebener Stromgeschwindigkeit konnte das auf diese Weise fortgezogene Schiff noch mehrere beladene Fahrzeuge hinter sich her schleppen.

Die ersten Versuche einer solchen Schleppschifffahrt (Touage) datiren bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts zurück, wo 1732 der Marschall von Sachsen in Frankreich sich mehrfach damit beschäftigte; doch wurden sie erst 1818 von Tourasse & Courteaud wieder aufgenommen und führten 1820 zu der ersten definitiven Anwendung im Großen auf der Saone bei Lyon. Man benutzte dort noch ein Hanfseil von etwa 56 mm Stärke und setzte die Seiltrommeln durch 6 Pferde in Bewegung; das Seil selbst bestand aus zwei Längen von je 1 Kilometer und wurde durch zwei kleinere Kähne vorausgelegt, indem der eine derselben mit seinem Seilende die betreffende Strecke vorausfuhr, dasselbe auslegte, am Ende befestigte und dann an den Anfang zurückkehrte, während der zweite Kahn den Schlepper (Toueur) begleitete und das ablaufende Seil einnahm, um am Ende der Strecke mit dem ersten Kahn zu wechseln. Aehnlich war ein auf der Rhone eingerichteter Betrieb, während 1822 bereits von Vinchon auf der Seine Dampfkraft zur Bewegung der Seiltrommeln und bald eine Kette als Mittel zur Fortbewegung angewendet wurde. 1825 wurde zuerst von de Rigny auf der Seine bei Rouen die ganze zu befahrende Strecke mit einer durchgehenden Kette belegt, welche Einrichtung 1827 auf der Saone zwischen Givors und Lyon nachgeahmt wurde. 1844 wurde dort eine neue Strecke eröffnet, und folgte dann bei immer größerer Vervollkommnung der Apparate bald eine größere Anzahl von Unternehmungen, welche noch heute in Betrieb sind und auf immer größere Ausdehnung hinarbeiten. Die bekanntesten darunter sind die Kettenschifffahrt auf der oberen Seine zwischen Paris und Montereau, auf der unteren Seine, ursprünglich, 1853, von Paris bis Conflans eingerichtet, später, 1856, über Rouen bis Havre fortgesetzt, auf der Loire zwischen Angers, Nantes und Saint-Nazaire, auf der Oise und dem Canal du Nord zwischen Condé und Conflans, sowie

Empfohlene Zitierweise:
R. Ziebarth: Ueber Ketten- und Seilschifffahrt mit Rücksicht auf die Versuche zu Lüttich im Juni 1869. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Berlin 1869, Seite 737-738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_deutscher_Ingenieure_Band_XIII_Heft_12_1869_p737-738.png&oldid=- (Version vom 29.11.2020)