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eines Reiches und des Ursprungs eines königlichen Geschlechtes, obwohl auch in diesen beiden Erzählungen die stofflichen Motive ihre Ähnlichkeit mit den späteren Märchen nicht verleugnen. Die Habisgeschichte bildet durch die Art und Weise der wiederholten Aussetzungen einen Übergang von diesen älteren Sagen, welche durchwegs einen künftigen König zum Helden haben, zu den ersten (buddhistischen) Fassungen, in welchen bereits der Stoff durch die Todesbotschaft und den Todesbrief erweitert wird. Das Verhältnis der alten königlichen Schicksalskinder zu den Helden der späteren Märchen und Legenden muss einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben. Das gesamte Material für die Oidipus- und Romulus- und Remussage findet sich in Roschers Lexikon unter ‘Oidipus’, ‘Numitor’, ‘Rea Silvia’ und ‘Romulus’ (III, 1, 703, 478. IV, 63, 164). Die Kyrosgeschichte liegt hauptsächlich in zwei Varianten bei Herodot (I, 107–122) und Justin (I, 4) vor; vgl. A. Bauer, Die Kyrossage und Verwandtes (SB. der Wiener Akad. phil. Kl. 100, 495–578. 1882).


II. Die Volksmärchen.     Die Fahrt ins Jenseits.

Aus der Volksüberlieferung Asiens und Europas haben Bolte, Polívka und Aarne weit über hundert Texte des Schicksalskindes gesammelt. Die Hälfte davon sind selbständige Versionen, welche sich manchmal als Nachklänge von Volksbüchern (in Italien und Böhmen z. B.) feststellen lassen, die andere Hälfte dient als Einleitung der überseeischen Fahrt des Helden zu einem übernatürlichen Wesen und kommt nur in Europa vor. Nur höchst selten wird das Schicksalskind auch mit anderen Stoffen (z. B. mit dem klugen Knaben, in Polen) verbunden. Die überseeische Fahrt zu dem übernatürlichen Wesen kommt ausserdem häufig auch selbständig vor; diese selbständigen Versionen zeigen deutlich, dass dieser Stoff ursprünglich unabhängig von dem Schicksalskinde existierte.

Das Schicksalskind erscheint in Europa selbständig am häufigsten bei den Serbokroaten, Bulgaren, Polen, in Klein-, Weiss- und Grossrussland, Deutschland, Italien, Griechenland, Litauen und auf dem Kaukasus. Die zusammengesetzten Texte in Deutschland, Klein- und Weissrussland und Dänemark; mehr als einmal auch in Polen, Grossrussland, Böhmen, Schweden und Spanien. Die selbständige Fassung der überseeischen Reise findet sich häufiger nur in Deutschland, Finnland[1] und bei den Čechoslawen; mehr als einmal auch bei den Vlamen, Serbokroaten, Schweden und Wallisern, und ohne Rücksicht auf die vereinzelten Texte, welche sich von Island bis nach Asien erstrecken, kann für die


  1. Die zahlreichen finnischen handschriftlichen Aufzeichnungen, welche Aarne (F. F. Communications nr. 5. S. 38) anführt, sind nicht in selbständige und zusammengesetzte Texte eingeteilt, so dass sich dieselben für diese Übersicht nicht recht verwerten lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Fritz Boehm (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 29. Jahrgang. Behrend & Co., Berlin 1919, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_fuer_Volkskunde_29_030.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)