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Für dieses Märchen sind noch keine literarischen Vorlagen in der älteren Literatur vorhanden. Die Fahrt Thorkills zum Utgarthiloki in die Hölle, von welcher Saxo Grammaticus im achten Buche seiner dänischen Geschichte berichtet, zeigt nur insofern eine Ähnlichkeit mit demselben, dass Thorkill dem angeketteten Unhold ein Haar ausreisst und dasselbe zum Andenken mitnimmt. Die Fahrt Huons de Bordeaux um die Bartlocke und die vier Backenzähne des Emirs von Bagdad, von welcher bereits ein altfranzösischer Roman der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts berichtet, kann nur als fern mit dem Märchen verwandt gelten. Auch die vier von Aarne (S. 116–124) angeführten Texte sind keineswegs literarische Vorlagen der volkstümlichen Versionen. Die Geschichte des tibetischen Dsanglun gehört zu dem unter dem Schlagwort ‘Das Urteil Schemjakins’ bekannten Stoff, welcher sich, ohne jede Verwandtschaft mit unserem Märchen, selbständig in der Volksüberlieferung weiterentwickelt. Die Geschichten aus dem Tuti-Nameh und aus einer serbo-slowenischen Handschrift des 16. Jahrhunderts sind einfache Fragenmärchen, welche nur eine entfernte Analogie mit der überseeischen Reise zu dem bösen Wesen aufweisen. Dasselbe gilt auch von dem 38. Märchen des Pentamerone, in welchem von der Erlösung der in Vögel verwandelten Brüder durch ihre Schwester erzählt wird.

Die dem Märchen ursprünglich zugrunde liegende Idee scheint, wie Aarne bereits erkannt hat, die Fahrt ins Jenseits zu sein, und zwar ins Jenseits, welches hinter dem die Erde umfliessenden Ozean liegt. In den volkstümlichen Texten, soweit dieselben nicht ausdrücklich vom Jenseits sprechen, ist die regelmässig wiederkehrende Überfahrt des Helden aber ein grosses Wasser als Erinnerung an diese ursprüngliche Fassung geblieben.

In den Keilschriftfragmenten der Asurbanipalschen Bibliothek in Niniveh finden sich nun aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. 12 Tafeln, welche von einer Reise des göttlichen Helden Izdubar zu seinem Ahn ‘an die Mündung der Ströme’ berichten. In der Beschreibung dieser Fahrt – so weit dieselbe erhalten ist und entziffert werden konnte – finden sich so auffallend ähnliche Züge mit unserem Märchen, dass es sich lohnt, dieselbe in der sorgfältigen Übersetzung von A. Jeremias (Izdubar-Nimrod, Leipzig 1891, S. 14ff.) mit dem Märchen zu vergleichen.

Tafel IX. Izdubar klagt um seinen im Kampfe gefallenen Freund Eabani und fasst den Entschluss zu seinem Ahn Sît-napištim zu gehen, um das Geheimnis seiner Apotheose zu erfahren und Heilung vom Aussatz, mit dem ihn die Götter geschlagen, von ihm zu erlangen. Er kommt nachts in eine Gebirgsschlucht, sieht Löwen, betet zum Mondgott und wird von ihm beschützt. Nach einem Traum nimmt er die Axt in seine Hand und zieht das Schwert aus seinem Gürtel. Er kommt zu dem Gebirge Mâšu, dessen Torausgang von zwei riesigen Skorpionenmenschen, einem Manne und seinem Weibe, bewacht wird. Der Anblick dieser Ungeheuer raubt ihm die Besinnung. (Mâšu liegt an der Süd- und Südostgrenze
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Fritz Boehm (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 29. Jahrgang. Behrend & Co., Berlin 1919, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_fuer_Volkskunde_29_033.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)