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seiner Zeitschrift ‘Das deutsche Volkslied’ (1898–1918) und die Organisation der vom Ministerium Hartel unternommenen grossen Sammlung der Volkslieder in Österreich, von der hoffentlich bald ein Band gedruckt werden kann; ausserdem durch zahlreiche Flugschriften, Liederhefte für Männer- und gemischten Chor, ein Liederbuch für die Deutschen in Österreich (1884), Sammlungen von Jodlern und Juchezern, die Herausgabe der Oberschefflenzer Volkslieder von Augusta Bender (1902), der Blattl-Lieder (1910) u. a. Pommers tatkräftige Art war nicht ohne Schroffheit und Einseitigkeit; wenn es sich um die ‘Echtheit’ eines Volksliedes handelte, liess er nicht leicht einen Widerspruch gelten; aber seine hohen Verdienste um die Würdigung, Bergung und Neubelebung des deutschen Volksliedes werden stets in Ehren gehalten werden.

     Berlin. Johannes Bolte.     


Otto Schrader †.

Mit Otto Schrader (geb. am 28. März 1855, gest. am 21. März 1919) ist ein Forscher selbständigster Eigenart dahingegangen, der von sich aus den Weg von der Philologie und Linguistik zur Kulturgeschichte gefunden hat – man kann ruhig sagen: zur Volkskunde in dem weiten Sinne, wie ihn diese Zeitschrift vertritt. So hat schon 1877 der Leipziger Student in einem Festvortrage ‘Sprachwissenschaft und Kulturgeschichte’ sein Arbeitsfeld vorausbezeichnet; und unter den vielen grossen und kleineren Arbeiten, die uns sein Lebensgang beschert hat, gibt es kaum eine, die sich diesem Rahmen entzöge.

Aus der Fülle von Schraders Schriften seien nur einzelne herausgehoben. Die Neubearbeitung von V. Hehns ‘Kulturpflanzen und Haustiere’ 1890 (mit A. Engler); das ‘Lebensbild Hehns’ 1891. Zur Urgeschichte der Familie: ‘Die Schwiegermutter und der Hagestolz’ 1904; ‘Über Bezeichnungen der Heiratsverwandtschaft’. Sitte und Brauch: ‘Totenhochzeit’ 1904. Zur deutschen Kulturgeschichte: ‘Deutsches Reich und Deutscher Kaiser’, ‘Die Deutschen und das Meer’. Als Beispiel gemeinverständlicher und doch gediegener Darstellung das Büchlein ‘Die Indogermanen’ 1911, das nunmehr in dritter Auflage vorliegt. Aber am Anfang und am Ende stehen kraftvolle Zusammenfassungen, die immer zu den bewunderten Denkmälern weitschauenden Gelehrtenfleisses zählen werden. 1883 das Programmwerk ‘Sprachvergleichung und Urgeschichte’, bis 1907 noch zweimal völlig umgearbeitet. Und 1901 die Krönung seiner Lebensarbeit, das ‘Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde’, als Werk eines einzelnen vielleicht die grösste Tat auf diesem Gebiete. Wie rastlos Schrader auch an diesem Werke fortgearbeitet hat, zeigt das erste Heft der zweiten Auflage 1917; es war sein grösster Schmerz, dass der Krieg den Druck des von ihm aus fertig vorliegenden Buches so arg ins Stocken brachte. Dabei bewegten ihn noch grosse Pläne. Über eine Stammesgeschichte der Germanen hatte er bereits mit einem Verleger angeknüpft; vieles hoffte er noch aus seiner reichen und tiefen Kenntnis des russischen Volkstums zu schöpfen. –

Der Sohn Weimars war eine reiche, glänzende Persönlichkeit: ein vielseitiger, schlagfertiger Geist voll überlegenen Humors, ein Meister des gesprochenen und geschriebenen Wortes, dichterisch und gesellschaftlich veranlagt. Über seinem Leben aber hat bittere Tragik gewaltet. Dreissig Jahre an den anspruchsvollen Schuldienst gebunden, der ihm trotz hervorragender Eigenschaften dafür doch eine Fessel wurde, und im Nebenamt Universitätslehrer, musste er mit seinen Kräften Raubbau treiben. Als 1908 der erlösende Ruf nach Breslau kam, war es zu spät:

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Fritz Boehm (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 29. Jahrgang. Behrend & Co., Berlin 1919, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_fuer_Volkskunde_29_055.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)