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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932

sich nichts wesentlich Konstruktives befindet. Er macht nur für die Gymnastikvereine eine Ausnahme. Die Sportbewegung hat in Frankreich nach dem Krieg sehr stark zugenommen. Gab es im Jahr 1919 9900 Sportvereine, so betrug ihre Anzahl 1927 bereits 20 000. Im ganzen erscheinen in Frankreich 130 Sportblätter. Wenn behauptet wird, so fuhrt Adams aus, daß es in Frankreich 2 Millionen Sportliebhaber gibt, dann glauben wir nicht, daß es mehr als 200 000 Personen gibt, die wirklich Sport treiben; die übergroße Mehrzahl sind nur Zuschauer bei Footballmatches und lesen die roten und gelben Sportblätter. Darf man die Äußerung von Jean Beaudemoulin[1] als richtig betrachten, dann lesen die jungen sich am Sport beteiligenden Arbeiter nur „L’Auto“, statt der gewöhnlichen Tagespresse. „Die politischen Fragen sind ihnen gleichgültig. Sie stellen ihre geliebten Athleten über die Arbeiterführer.“ Mehr als in vielen anderen Ländern scheint hier Mangel an Bildungsbedürfnis vorzuherrschen. Auch in Belgien interessiert sich die große Masse besonders für den Sport, d.h. für die Wettkampfe. Buset, Generalsekretär des belgischen Instituts für Arbeiterbildung, erklärt in einem Artikel: „Où nous mène la passion sportive“ in „La vie ouvrière“, Monatsschrift der Bildungszentrale (Februar- und Märznummer 1932), daß von einer rein aktiven oder passiven Teilnahme beim Sport im absoluten Sinne nicht gesprochen werden kann, weil diejenigen, die nicht direkt am Spiel teilnehmen, als sog. „supporters“ eine große Rolle spielen[2]. Zur Herbeischaffung von Material über die „passion sportive“ hat Buset in der genannten Zeitschrift einen Fragebogen veröffentlicht, der von den Lesern ausgefüllt werden sollte. Es wurden u. a. die folgenden Fragen gestellt:

Besuchen Sie regelmäßig die sportlichen Veranstaltungen?

Lesen Sie lieber die Sportblätter als die Parteiblätter?

Wird in Ihrer Fabrik viel über Sport geredet und mehr als über soziale Fragen?

Liest die Mehrzahl Ihrer Kameraden lieber Sportblätter als unsere Tageblätter?

Sind sie in der Mehrzahl Teilnehmer an sportlichen Veranstaltungen?

Kommt es öfters vor, daß Sie einen Tag verlieren, indem Sie an den in der Woche stattfindenden sportlichen Veranstaltungen teilnehmen?

Glauben Sie, daß dem Zutritt jüngerer Arbeiter in unsere Organisation durch die „passion sportive“ und durch die Ausübung des Sports entgegengearbeitet wird?


  1. Enquête sur les loisirs de Touvrier francais, Paris 1924, S. 239.
  2. B. sagt: „Ich glaube, daß man in Belgien hunderttausend von braven Leuten zählen könnte, deren Betätigung als „supporter“ dazu führt, daß sie den größten Teil ihrer Freizeit auf den Sportplätzen verbringen, Sportzeitungen lesen und vom Sport sprechen.“ (S. 39)
Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/257&oldid=- (Version vom 14.1.2023)