Seite:Zeitschrift für Sozialforschung Jahrgang 1.pdf/266

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932

Es wäre zu untersuchen, welche Zeitungen vor allem von den Arbeitern gelesen werden. Die Arbeiterpresse sämtlicher Richtungen hat sich in den letzten 10 Jahren sehr stark geändert. In ihr spiegeln sich alle Arten der Freizeitverwendung wieder, denen sich die Arbeiterklasse zuwendet. Die Presse wird immer mehr von der Partei- zur Volkszeitung und an das Durchschnittsbedürfnis angepaßt. Dies führt dazu, daß die Arbeiterzeitung sich in vielen Fällen, abgesehen von ihren politischen oder religiösen Tendenzen, nicht wesentlich von den bürgerlichen Blättern unterscheidet. Ist diese Änderung der Zeitung sowohl ihrem Inhalt wie ihrer Aufmachung nach ein Entgegenkommen an den Geschmack und die augenblicklichen Bedürfnisse der großen Masse, so wirken diese Änderungen andererseits wieder beeinflussend auf die Arbeiter im Sinne der bürgerlichen Gedankenwelt zurück. Unzweifelhaft ist auch die Rationalisierung einer der Faktoren, welche beim Arbeiter das Verlangen hervorgerufen haben, nach seiner täglichen Arbeit sich nicht zu eingehend mit schwierigen Fragen beschäftigen zu müssen. Auch für die Angestellten, deren Arbeit ebenfalls stark mechanisiert ist, scheinen dieselben Bedürfnisse zu bestehen. So schreibt Max Rössiger u. a: „Eine acht- oder jetzt oft schon wieder neunstündige Arbeitszeit im rationalisierten und entpersönlichten Betrieb zerrt an den Nerven und weckt auch bei sonst Anspruchsvolleren den Hunger nach leichter Kost als Betäubungsmittel“[1]. Die hier angedeutete Umbildung der Arbeiterzeitung, zusammen mit der immer wachsenden Differenzierung in der Verwendung der Freizeit und die dadurch herbeigeführte Entwicklung des Vereinswesens haben die Herausgabe einer Reihe von Zeitungen und Zeitschriften, welche speziellen geistigen, sozialen und sonstigen Interessen dienen, zur Folge gehabt.

Bei der Untersuchung der Rolle des Bücherlesens muß ein Unterschied zwischen dem Lesen und Kaufen von Büchern gemacht werden. Was gelesen wird, ist teilweise durch statistische Angaben von Bibliotheken, Lesevereinen, Volksbüchereien usw. zu erfassen, aber gewöhnlich fehlt die Erfassung der Berufszugehörigkeit der Leser, so daß diesen Statistiken nur ein relativ geringer Wert zugemessen werden kann[2]. Übrigens geht aus ihnen nicht hervor, wie oft Bücher angefragt wurden, also ein Bedürfnis danach bestand,

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/266&oldid=- (Version vom 15.1.2023)
  1. Max Rössiger, Der Angestellte von 1930, Sieben-Stabe-Verlag Berlin 1930. S. 64.
  2. Eine Ausnahme bildet das ausgezeichnete Buch von Walter Hofmann, „Die Lektüre der Frau", Leipzig 1931. Es enthält ausführliche Betrachtungen über die Lektüre der Frau verschiedener sozialer Schichten.