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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang
Fr. Adler, Rose, Grafe, Chr. Adler: Sagen aus der Provinz Sachsen I

Sagen aus der Provinz Sachsen.
1. Die Kuh aus der Fuchshöhle und die Beschützerin der Kühe.

Einige Meilen die Elbe aufwärts von Magdeburg aus liegt das Städtchen Barby. Um dasselbe breiten sich rings fruchtbare Felder und fette Wiesen aus. Der Hirte von Barby hatte so lange jeden Tag das Vieh auf die Weide zu treiben, als es das Wetter irgend zuliess. Sobald er nun auf der Wiese mit seiner Herde war, bemerkte er, wie sich derselben eine Kuh gesellt hatte, welche grösser und schöner war als alle übrigen Kühe der Herde. Wenn der Hirte des Abends die Herde heimtrieb, so war die Kuh plötzlich verschwunden.

Der Hirt hatte ein gutes Herz und so liess er denn die fremde Kuh ruhig bei seiner Herde, ohne dass er sie belästigte. Dafür wurde er aber auch belohnt, denn es ereignete sich jeden Mittag, dass er auf einem Anwall am Elbwall das schönste Essen von der Welt fand. Das Essen lag in prächtigen Schüsseln, die in der Sonne nur so funkelten. Hatte aber der Hirt gegessen, so war das Geschirr alsogleich verschwunden.

Eines Tages fiel es dem Hirten ein, er wolle doch einmal sehen, wo die Kuh des Abends bliebe. Als er nun gegen Abend seine Herde nach der Stadt zurücktrieb und sein ganzes Augenmerk auf die Kuh gerichtet hatte, sah er, wie sich dieselbe dem Anwall näherte. In demselben befand sich ein Fuchsloch. Sobald die Kuh dem Fuchsloch nahe gekommen war, erweiterte sich dasselbe so, dass die Kuh bequem in dasselbe hineingehen konnte. Als die Kuh in der Höhlung verschwunden war, zog sich die Oeffnung wieder so zusammen, dass in dem Anwall nur noch ein Fuchsloch zu sehen war.

Obschon nun das Alles gar nicht mit richtigen Dingen zuging, so liess der Hirt sich doch nichts davon merken und belästigte die fremde Kuh auch an den folgenden Tagen so wenig wie zuvor. Da geschah es denn, dass auch die Beschützerin der Kühe sich in der Herde zuweilen sehen liess. Dieselbe war eine wunderschöne, hellblau gekleidete Frau; sie ging in der Herde umher und streichelte das Vieh, besonders aber die fremde Kuh.

Daraus schloss der Hirt, dass sie zu der Kuh besonders nahe Beziehungen hatte.

Woher die schöne Frau kam und wo sie wieder verschwand, hat der Hirte nie erkunden können.

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_019.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)