Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 081.png

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vertrug. Trotzdem der Mann und die Frau drei Kinder aus ihrer Ehe hatten, zankte der Mann um jede Kleinigkeit mit seiner Frau, die aber blieb ihm kein Wort schuldig. Eines Tages war Zank und Streit ärger als je und dabei geriet der Mann in eine solche Wut, dass er seine Frau erschlug. Die That hatte sich auf einer Wiese zugetragen, wo Mann und Frau bei der Arbeit waren.

Die Frau wurde begraben und der Mann war nun allein mit den Kindern. Die Kinder waren noch klein, aber doch gingen sie täglich nach der Wiese, wo ihre Mutter den Tod gefunden hatte. Da setzten sie sich erst hin und weinten, und wenn sie sich ausgeweint hatten, dann vergassen sie ihren Schmerz und fingen an zu spielen, wie das die Kinder nun einmal thun. So waren sie auch einmal auf der Wiese, es war aber gerade an einem Sonntage. Da fingen die Kirchenglocken an zu läuten. Die Kinder falteten die Hände und beteten zu Gott für das Heil ihrer Mutter. Als sie noch beteten, war plötzlich die Mutter bei ihren Kindern und liebkoste dieselben. Die Freude derselben war grenzenlos. Aber plötzlich geschah etwas seltsames. Der Boden, auf welchem sich Mutter und Kinder befanden, begann sich zu senken und alle vier verschwanden in der Tiefe. Aber als die Leute aus der Kirche kamen, war mit dem Orte eine seltsame Veränderung vorgegangen; an der Stelle, wo die Mutter mit ihren Kindern versunken war, befand sich ein Brunnen mit reichlichem Wasser und um diesen standen drei Tannen im Schmuck ihrer grünen Nadeln.


8. Rollerbselein.
(Galizisch.)

Irgendwo und irgendwo im grossen, grünem Urwalde, welchen die Gewässer der Bistritza durchströmen, lebte ein Bauer mit seinem Weibe. Die Frau hatte ihren Mann mit sechs kräftigen Jungen beschenkt und dazu mit einem rosigen Töchterlein.

Allgemach waren die Kinder herangewachsen, die sechs Söhne arbeiteten auf dem Felde, die Schwester musste ihnen des Mittags das Essen zutragen. Aber im Walde ist kein Feld, und wenn die Söhne die Bäume niederschlugen und verbrannten, so blieben die Stämme und Wurzeln zurück, und es war gar mühselig, auf diesem Felde etwas zu bestellen. Solange der alte Bauer lebte, zwang er seine Söhne bei dieser Arbeit im Walde zu bleiben, aber als er gestorben war, da wurde alles anders. Die Söhne hatten einmal gehört, das weit fort, jenseits des Waldes, breite Wiesenflächen wären, die man nur umzubrechen brauche, um dort den schönsten Acker zu haben. Kaum hatten sie ihren Vater begraben, so beschlossen sie, die Arbeit im Walde aufzugeben. Nun aber wussten sie nicht, ob ihre Schwester den Weg zu ihnen finden würde, wenn sie soweit weg wären und ohne zu essen konnten sie doch nicht leben. Da kam einer von ihnen auf den klugen Gedanken, man müsse eine Furche ziehen, von dem Hause aus bis an die Stelle, wo sie arbeiten würden, dann würde ihre Schwester

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_081.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)