Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 082.png

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den Weg finden, mitten durch den grossen Wald. Gesagt, gethan. Am nächsten Morgen schirrten die Brüder die beiden Ochsen an und zogen mit dem Pflug eine Furche, quer durch den Wald, bis sie dahin kamen, wo der Wald zu Ende war. Da lag eine breite Wiesenfläche vor ihnen, welche sich trefflich zur Bestellung eignete. Die Brüder gingen an die Arbeit, brachen den Rasen um, zogen die Egge über die Schollen und merkten erst an dem Hunger, welchen sie endlich hatten, dass es Essenszeit sei. Sie warteten auf ihr Schwesterlein, allein soviel sie auch warten und ausspähen mochten, dieselbe kam nicht. Wo aber blieb dieselbe? Die Furche war doch da? Das werden wir alles gleich hören.

Der Teufel hatte in dem grossen Urwalde sein Schloss, und wenn es ihm darin zu langweilig wurde, so ging er aus und schaute sich um, ob er Jemand einen Streich spielen, oder etwas erwischen könne, was für ihn wäre. Da sah er nun die Furche im Walde. Ei, dachte er, was mag das sein? Wie wäre es, wenn ich diese Furche verwischte und genau eben solch eine Furche nach meinem Schlosse ziehen würde? Da könnte ich ja bald sehen, was das zu bedeuten hat.

Richtig, der Teufel ging an die Arbeit. Bald war die alte Furche verwischt und die neue gezogen, denn wenn der Teufel erst einmal anfängt zu arbeiten, dann geht das schnell vorwärts, aber gern arbeitet er nicht. Als nun die Schwester mit dem Essen sich aufgemacht hatte und der Furche folgte, wie ihr die Brüder gesagt hatten, da kam sie denn auch richtig nicht zu ihren Brüdern, sondern an das Schloss des Teufels. Die Furche führte aber gerade in das Schloss hinein und das junge Mädchen hatte doch den Auftrag, immer der Furche zu folgen. Ein klein wenig neugierig mochte das Mädchen wohl auch sein, wie es in solch einem Schlosse aussehe, denn da war doch alles sicher ganz anders, wie in dem kleinen Häuschen am Walde, in welchem sie wohnte. Hinein kam die Schwester nun wohl in das Schloss, aber sie kam nicht wieder heraus, denn der Teufel behielt sie bei sich und sie wurde seine Frau, weil sie es musste.

Wie es ihr weiter ergangen ist, das werden wir auch noch erfahren, jetzt sehen wir uns wieder nach ihren Brüdern um.

Die Brüder wurden immer hungriger, als das Essen nicht kam; als alles Warten nichts half, ein hungriger Mensch aber nicht arbeiten kann, so zogen die sechs Brüder heim. Sie waren gar zornig über ihre Schwester, dass dieselbe nicht gekommen war, aber ihr Zorn verwandelte sich in einen grossen Schreck, als sie hörten, dass ihre Schwester mit dem Essen zur rechten Zeit fortgegangen wäre. „Gut, sagten sie, dann werden wir sie suchen.“

Ihre Mutter musste ihnen nun erst noch einmal ein tüchtiges Essen kochen, dann zogen die sechs Brüder in die weite Welt hinaus. Aber wo sie auch hinkamen und wo sie auch suchten, sie fanden ihre Schwester nirgends. So waren sie ganz trostlos eines Tages nach Hause zurück gekehrt. Da fiel ihnen ein, dass sie noch gar nicht versucht hatten, der Furche nachzugehen, von der sie bei ihrem Suchen gemerkt hatten, dass dieselbe von einer gewissen Stelle im Walde aus ihre Richtung

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_082.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)