Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 092.png

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Das hast Du gethan, und nun bin ich wieder glücklich. Dein Reich begehren wir nicht, denn mein Vater ist selbst ein mächtiger König, welcher sich nach mir sehnt und meinen Gatten willkommen heissen wird, denn er ist alt und wünscht einen Nachfolger zu haben.“

Nach diesen Worten zog das glückliche Paar von dannen.


Die Schlangenfrau.

Ein hochbetagter Bauer dachte daran, sein Haus und Erbe einem von seinen drei Söhnen zu übergeben. Deshalb liess er sie zu sich kommen und sagte: „Jetzt mögt Ihr in die Fremde ziehen und Euer Glück versuchen. In Jahr und Tag erwarte ich Euch zurück. Wer mir alsdann das beste Brot heimbringt, der soll das Haus haben und mein Erbe sein.“

Die beiden ältesten Brüder machten sich auf den Weg und nahmen im nächsten Dorfe Dienste an, der jüngste aber ging seines Weges, bis er in einen Wald kam. Endlich gelangte er an eine Hütte, deren Thür offen stand. Der junge Mann trat ein. Da sah er, wie mitten in der Stube auf einem Tische eine Schüssel stand; in der Schüssel lag eine Schlange. Die Schlange erhob das Haupt und fragte ihn nach seinem Begehr. „Ich suche einen Dienst,“ sprach der junge Mann. „Wenn das ist, so kannst Du bei mir bleiben,“ erwiederte die Schlange, „und meine Wohnung in Ordnung halten.“

Der junge Mann trat den Dienst an und verrichtete ihn ein Jahr in aller Treue. Darauf trat er zur Schlange und sagte ihr, dass er jetzt heimkehren wolle. Die Schlange fragte, welchen Lohn er für seine Dienste fordere. „Nichts,“ entgegnete der junge Mann, „doch sagte mein Vater, dass er demjenigen von uns Brüdern sein Haus geben wolle, der ihm das beste Brot heimbringen werde.“ „Wenn das der Fall ist, so backe Brot in dem Ofen,“ sagte ihm die Schlange. „Nimm dann von dem Brote, so viel Du willst, das übrige lass für mich zurück. Ausserdem kannst Du Dir, wenn Du fortgehst, aus der Kammer so viel schöne Kleider und prächtige Tücher holen, als Du willst.“

Sogleich machte sich der junge Mann an das Werk. Das Brot geriet ganz ausgezeichnet, er nahm davon einen Sack voll, das übrige liess er der Schlange. Die Kleider und Tücher waren kostbar und mit Gold durchwirkt: auch von diesen nahm er, so viel er tragen konnte, nachdem er selbst gleichfalls kostbare Kleidung angelegt hatte. Dann dankte er der Schlange, darauf trat er den Heimweg an. Unterwegs sah er einen Krug am Wege stehen. Er kehrte ein, um sich darin für die letzte Strecke des Heimwegs zu stärken. In dem Kruge befanden sich auch die beiden Brüder, welche gleichfalls auf ihrem Heimwege hier eingekehrt waren. Sie erkannten ihren Bruder nicht, lachten und spotteten über denselben und rühmten sich des Geldes, welches sie verdient hatten. Als sie sich auf den Weg machen wollten, kaufte jeder von ihnen ein Brot für den Vater zu Hause.

Darauf, nachdem sie aufgebrochen waren, folgte ihnen der

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_092.png&oldid=- (Version vom 21.7.2023)