Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 120.png

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eine von den Wurzeln Sampos an den Grund der Erde befestigt worden ist, die andere an den Wasserwirbel, die dritte an den heimatlichen Hügel. Dieses Stück ist dem Volksmunde entnommen, hat aber nichts mit Sampo zu schaffen, sondern kommt in dem Gesange von Vipunen vor, und auch da nur ein einziges Mal. — Die Frage Ilmarinens, nachdem der Sampo fertig geworden ist, ob die Tochter Pohjolas ihm nun folgen wolle (v. 434—8), stammt von Lönnrot her, und ihre Antwort (v. 439—62) ist aus lyrischen Gesängen zusammengesetzt. — Der Beschluss Ilmarinens, nach Hause zu reisen (v. 463—72), sowie seine Reise (v. 489—496), sind von Lönnrot selbst verfasste verbindende Zwischenglieder. — Schliesslich gehört die von der Herrin Pohjolas besorgte Ausrüstung Ilmarinens zu dieser Reise wohl zum Sampogesange, aber zu einer früheren Stelle, da, wo Wäinämöinen selbst aus Pohjola reisen soll.

Von den 510 Versen des besprochenen Liedes gehören also nur ungefähr 130 zu seiner ursprünglichen Form, so wie er vom Volke wirklich gesungen worden ist, alle aus den verschiedenen Varianten erhaltenen Zuthaten darin mit inbegriffen. Wie hieraus hervorgeht, ist die persönliche Einwirkung des Rhapsoden bei der Redaktion recht bedeutend und wesentlich gewesen. Ein Teil der Episoden, wie die Aino-Gesänge und der Raub Kyllikkis, sind in der That Mosaikarbeiten, zusammengefügt aus einer Menge verschiedenartiger Bestandteile, welche eigentlich nichts miteinander zu thun gehabt haben.

Doch würde man gleichwohl Unrecht thun, wollte man demzufolge der Kalevala die Eigenschaft ein Volksepos zu sein, absprechen. Auch die Volkssänger, besonders die begabteren, haben, jeder für sich, die durch die Traditionen überlieferten epischen Gesänge gerade auf dieselbe Weise wie Lönnrot erweitert und entwickelt durch Zuthaten aus gleichartigen Quellen. Darüber kann man sich leicht vergewissern durch Vergleichung der Handschriften untereinander. Lönnrot unterscheidet sich von seinen Vorgängern in den Urwäldern hauptsächlich nur dadurch, dass er alle Schätze des Volksgesanges in unvergleichlich höherem Masse kannte, als irgend einer von diesen und somit eine viel reichlichere Quelle besass, aus der er schöpfen konnte.

Dazu kommt noch gewiss ein durch litterarische Bildung verfeinertes poetisches Gefühl bei der Wahl der Zuthaten. Andererseits jedoch steht Lönnrot dennoch auch hierbei, was die Unbewusstheit des Schaffens betrifft, seinen Vorgängern ganz nahe.

Selten ist einer von diesen im Stande, selbst auch nur ein mittelmässiges reines Gedicht zu verfassen, obgleich sie bei der Ausbildung des Gesanges durch kleinere Zusätze, die teils aus anderen alten Gesängen, teils aus eigener Vorratskammer genommen sind, oft einen bewundernswerten poetischen Instinkt zeigen. Ebenso hat auch Lönnrot in seinen unbedeutenden und vollständig prosaischen eigenen dichterischen Versuchen einen totalen Mangel an poetischem Schaffungsvermögen an den Tag gelegt; aber bei der Zusammensetzung der Kalevala hat er demungeachtet, zufolge seiner genauen Bekanntschaft mit dem Volksgesange und dadurch, dass er sich vollständig in den Geist desselben einlebte, beinahe überall auf eine meisterliche Art, die für einen Uneingeweihten sehr heterogen

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_120.png&oldid=- (Version vom 21.11.2023)