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2. Die Zerstreuung der Masuren (Mazuren).

Die Masuren hatten das wüste Land urbar gemacht, auf welchem der erste Masur aus dem Ei gekrochen war, und lebten dahin wie das liebe Vieh. In ihren elenden Hütten starrte es von Schmutz und Unreinigkeit, also dass die Mäuse bei den Masuren überhand nahmen, denn die Tiere fuhlen sich nirgends wohler, als wo es in der Wirtschaft liederlich hergeht. Schliesslich kam es dahin, dass die Mäuse auf Bänken und Tischen herumsprangen und am hellen lichten Tage am Specke nagten. Die Masuren hätten den Mäusen das Tanzen auf Tisch und Bänken verziehen, aber dass sich dieselben vor ihren Augen an den Speck machten, das verziehen ihnen dieselben nicht, denn für den Speck lässt der Masur sein Leben.

Nun traf es sich einmal, dass ein Deutscher in das Dorf geritten kam. Derselbe hatte sich eine Katze aus seiner Heimat mitgebracht. Als die Masuren das Tier erblickten, welches ihnen bis dahin unbekannt gewesen war, kamen sie aus allen Häusern herbeigeströmt und staunten die Katze an. Dem Deutschen machte das Vergnügen, er stieg vom Pferde, liess demselben Futter geben und trat in eines der Häuser. Die Katze folgte ihm auf dem Fusse nach. Kaum hatte sie die Mäuse erblickt, welche sich in gewohnter Frechheit auf Tischen und Bänken herumtrieben, da stürzte sie sich auf dieselben und würgte sie ab. Das sahen die Masuren, welche dem Fremden gefolgt waren, mit grossem Vergnügen mit an, und es leuchtete ihnen ein, dass solch ein Tier für sie von dem grössten Nutzen sein würde, denn sie dachten sich, wenn sie die Mäuse los würden, dann wäre auch ihr Speck sicher. Sie boten also dem Deutschen ein grosses Stück Gold für seine Katze an. Dieser war damit zufrieden und ritt alsobald von dannen, weil er fürchtete, den Masuren könne ihr Kauf leid werden.

Als der Deutsche fort war, fiel den Masuren erst ein, dass sie gar nicht gefragt hatten, was die Katze frässe. In ihrer Not schickten sie sofort einen der ihren zu Pferde dem Deutschen nach, welcher diesen nach dem Futter fragen sollte. Als der Deutsche den Masuren hinter sich herreiten hörte, trieb er sein Pferd zur höchsten Eile an, denn er glaubte nun, dass er mit seinem Argwohn recht hätte. Aber das Pferd des Masuren war frisch, und so kam er dem Deutschen immer näher; dabei rief er demselben unausgesetzt etwas zu, was dieser aber nicht verstand. Endlich drehte sich der Deutsche ärgerlich um und rief dem Masuren „Was“ zu. Alsobald warf der Masur sein Pferd entsetzt herum und jagte seinem Dorfe zu. Kopfschüttelnd über das sonderbare Benehmen, setzte der Deutsche seinen Weg weiter fort.

Als der Masure in seinem Dorfe ankam, umringten ihn die Leute. Aber wie erschraken sie, als der Reiter ihnen sagte, dass es um sie geschehen wäre; der Deutsche habe ihm gesagt, die Katze würde sie alle auffressen, denn als er diesem die Frage zugerufen, was die Katze fresse, habe der Deutsche gesagt „Was“. Das Wort „Was“ heisst aber in der Sprache der Masuren „Euch“. Da beschlossen die Masuren, lieber die Katze tot zu schlagen, als sich von derselben fressen zu lassen. Aber sie konnten die Katze nicht erwischen. Nun wollten sie dieselbe verbrennen

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_183.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)