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Forscher und Reisenden nachsagen, dass sie nämlich den Europäern entschieden ähnlicher sind als ihren Nachbarn. Ziemlich hell von Hautfarbe, haben sie reiches, schwarzes Haar, das sich kräuselt, und bei den Männern findet sich nicht nur ein stattlicher, lockiger Bart, sondern auch eine sonst nur bei Europäern und Westasiaten beobachtete kräftige Behaarung des Körpers, welche der glatten Haut der Japaner und anderer Nachbarnationen gegenüber um so stärker auffällt und deshalb auch die Fabel von den bärenartig mit dichtem Haar über den ganzen Leib bedeckten Kurilen veranlasst hat. Auch im Schädelbau uns Europäern ähnlicher, haben die Aino namentlich nicht die auffallend flachliegenden und geschlitzten Augen der Japaner, sondern vielmehr durchaus wohlgeformte und gehörig hinter das Stirnbein zurücktretende, ausdrucksvoll und zugleich sanft blickende, wenn auch sehr dunkle Augen.

Auf diese Weise nicht bloss ihren südlichen Nachbarn, sondern auch den nördlicheren Gruppen der hochnordischen Korjäken und Tschuktschen und den sich diesen anreihenden Völkern, den Giljaken oder Smerenkur und den eigentlichen Kamtschadalen gegenüber stehend, haben die Aino auch in der Sprache — trotz der mannigfachsten Berührungen und Wortaustausche — keine innere Verwandtschaft mit allen den genannten Nationen; das einzige ostasiatische Volk, welches in dieser Beziehung, wie auch in Hinsicht auf das Äussere, in Betracht kommen kann, sind die Koreaner oder Koraï, welche denn auch trotz ihres gänzlich verschiedenen Kulturzustandes doch manche Züge, z. B. ihre übergrosse Friedfertigkeit, mit den Aino gemein haben.

Dies Volk nun, dessen Ausnahmestellung unter den Ostasiaten nur dann einigermassen erklärlich wird, wenn wir in Betracht ziehen, dass es unbedingt vom Amurlande her allmählich abgedrängt und in seine gegenwärtige isolierte und der Fortentwickelung jeder Kultur wenig günstige Lage gebracht ist, befindet sich unstreitig nur anscheinend in so primitiver Lage, wie man es häufig hinzustellen versucht hat. Sogar seine Sprache pflegte man früher — wie sich namentlich in jüngster Zeit schlagend herausgestellt hat, mit grossem Unrecht — als eine der denkbar rohesten hinzustellen, und Reisende, welche sonst die grösste Sympathie fur diese friedlichen, harmlosen und treuherzigen Menschen hegen, nennen sie unzivilisierbare Wilde. Alle diese Anschauungen von den Aino bestätigen sich durchaus nicht, wenn man sie näher ins Auge fasst; alsdann erscheinen sie vielmehr als epigonenhaft, als ein allerdings schon vor grauer Zeit versprengter und selbst der damals von ihm gewonnenen Kultur vermöge des ungünstigen Einflusses ihrer Isolierung teilweise wieder verlustig gewordener Völkerrest, dessen eigentliche Heimat ohne Zweifel weiter westlich, mindestens wohl in der Nähe des schon erwähnten Stammes der Koraï, gesucht werden muss.

Man könnte allerdings versucht sein, angesichts des Handelsverkehrs, welchen die Chinesen und mehr noch die Japaner mit ihren nördlichen Nachbarn schon seit Jahrhunderten unterhalten haben, den Ausspruch anzuzweifeln, dass die Aino isoliert gewesen seien; allein wenn man bedenkt, dass die Verbindungen der Japaner mit ihnen bis in das gegenwärtige Jahrhundert der alleroberflächlichsten Art waren und nicht das mindeste

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_218.png&oldid=- (Version vom 21.11.2023)