Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 237.png

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Dem jungen König blieb nichts übrig, da die Feinde sehr mächtig waren, als gegen dieselben mit seinen Kriegern auszuziehen. Wenige Tage darauf, nachdem der König gegen den Feind gezogen war, erblickte ein junger Prinz das Licht der Welt.

Die Hofdamen liessen das Kind umbringen, legten es in einen Sarg und vergruben die kleine Leiche an einem versteckten Ort im Garten. Die Königin stand weinend am Fenster und sah, wo der Sarg beigesetzt wurde. Darauf liessen die Hofdamen von einem Waldwärter einen jungen Fuchs herbeischaffen und legten diesen der Königin an die Brust. Sie verbreiteten das Gerücht, die Königin habe einem jungen Fuchs das Leben gegeben.

Sobald der König aus dem Kriege heimgekehrt war, wurde ihm erzählt, seine Gemahlin habe einen kleinen Fuchs geboren; er solle sie nur wieder dorthin bringen, woher er sie geholt habe, denn es sei nicht passend, dass ein Tier des Waldes auf dem Throne sitze, wenn es auch die Gestalt eines Menschen habe. Der König war zwar sehr traurig, allein er liebte seine Gemahlin zu sehr und verstiess sie nicht.

Die junge Königin weinte wohl bitterlich über alle Vorkommnisse, aber auch jetzt sprach sie kein Wort, denn sie gedachte der Erlösung ihres Bruders.

Nachdem ein Jahr verflossen war, nahte wieder die Zeit, in welcher die Königin ihren Gemahl mit einem Kinde beschenken sollte. Wieder wussten es die Feinde der Königin so einzurichten, dass ihr Gemahl in den Krieg ziehen musste. Als die Königin einem zweiten Sohne das Leben gegeben hatte, töteten die Hofdamen denselben und liessen die kleine Leiche neben der seines Bruders beisetzen. Die Königin stand wieder am Fenster und sah unter Thränen, wie die Leiche ihres Sohnes bestattet wurde. Darauf musste der Waldwärter einen jungen Wolf herbeiholen und man legte diesen der Königin an die Brust. Als ihr Gemahl zurückgekehrt war, wurde ihm der junge Wolf gezeigt und gesagt, dies sei sein zweiter Sohn. Jetzt verlangten alle Hofleute stürmisch, der König solle seinem Lande eine Königin geben, welche Menschen und nicht wilden Tieren das Leben gebe. Die junge Königin hörte dies alles mit an, ihre Thränen flossen reichlicher als je, aber auch jetzt noch sprach sie kein Wort. Der König sagte, er werde noch ein Jahr mit seiner Gemahlin leben; würde dann wieder ein Tier geboren, so werde er sich des Landes wegen von ihr trennen.

Das Jahr war noch nicht verflossen, so war von den Feinden der jungen Königin wiederum ein Krieg angestiftet worden und wieder musste der König mit seinen Kriegern in das Feld ziehen.

Als die Königin einem dritten Sohne das Leben geschenkt hatte, geschah mit diesem dasselbe, was man seinen beiden Brüdern angethan hatte. Auch diesmal sah die Königin vom Fenster aus, wo die kleine Leiche beigesetzt ward. Jetzt liessen die Hofdamen einen jungen Bären bringen und legten diesen der weinenden Königin an die Brust.

Kaum war der König zurückgekehrt, so entstand ein solcher Aufruhr am Hofe und im Volke, dass der König sich entschliessen musste, wenn er nicht Thron und Leben auf das Spiel setzen wollte, seine geliebte

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_237.png&oldid=- (Version vom 22.7.2023)