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Die Religion, Sagen und Märchen der Aino.
Von
D. Brauns in Halle a/s.
(Fortsetzung und Schluss.)     

Dass trotz des grossen Unterschiedes, welcher in den damit verknüpften religiösen Ideen zwischen Japanern und Aino waltet, doch auch bei letzteren die Toten ein Gegenstand grosser Ehrfurcht sind, dass insbesondere die Friedhöfe heilig sind, wird sicherlich niemand überraschen. Über die Begräbnisstätten und in manchen Fällen über die früher von den Toten bewohnte Hütte hinaus scheint sich indessen der Einfluss derselben nach der Meinung der Aino nicht zu erstrecken, was einen wesentlichen Gegensatz zu ihren südlichen Nachbarn ausmacht. Sämtliche Aino pflanzen auf dem Grabe der Männer einen Pfahl mit Spitze in Lanzenform auf, eine Form, welche auffallend genug sich in Korea in Stein wiederholt; auf dem Grabe der Weiber findet sich ein ähnlicher Pfahl ohne Spitze, nicht aber, wie Kreitner (a. a. O. S. 305) meint, ein Pfahl, der oben mit einem queren Brett versehen. Letzterer findet sich auf allen Friedhöfen, ist also nur ein rohes Symbol für „verbotener Weg“, etwa in der Weise, wie das von einem Baum oder Fels zum andern gezogene Strohseil in Japan und im Einklange mit Ideen und Zeichen, welche durch ganz Ostasien verbreitet sind. Ein Beweis hierfür liegt schon darin, dass die Aino ebensolche Pfähle mit oberen Querbrettern, nicht selten mit Hobelspänen gleich denen der Inao behängt, auch an den Stellen anbringen, wo sie Fallen für Bären und Füchse aufgestellt haben, bei deren Betreten seitens des Tieres eine Armbrust losgeht und einen vergifteten Pfeil auf das Jagdtier schleudert; hier kann offenbar nur eine Warnung vor dem Betreten des Platzes gemeint sein.

Wenn auch die Göttersagen der Aino immer noch ziemlich unvollständig bekannt sind, so bestätigen sie doch hinreichend das, was über den Charakter ihrer religiösen Vorstellungen gesagt ist. Die Schöpfungssage möchte, so viel man aus dem bisher darüber Ermittelten — vgl. insb. Chamberlains oben erwähntes Memoir, S. 12 — schliessen kann, wenig entwickelt sein. Ein (danach benannter) Kamui schuf Menschen und Tiere; ob in ihm sich ein unbestimmter, vom asiatischen Kontinente herrührender Anklang an den Brahmanismus und Taotismus findet, ist jedenfalls schwer,

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_249.png&oldid=- (Version vom 20.11.2023)