Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 258.png

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– und mutmasslich ziemlich neue – Tiergeschichte an, welche Chamberlain noch mitteilt, nämlich die vom Fuchse, von der Otter und dem Affen. Diese Tiere sollen vor alters in bester Freundschaft gelebt haben, bis der Fuchs die beiden anderen verleitete, einen reichen Japaner zu bestehlen. Die Beute bestand in einem Sacke mit Bohnen, einer Fussbodenmatte und einem Sacke mit Salz. Letzteres schwatzte der Fuchs der Otter auf, da es dazu diene, Fische einzusalzen, dem Affen die Matte, auf der seine Kinder tanzen könnten. Die Otter aber wollte den Salzsack sogleich beim Fischen benutzen und verlor sehr bald das Salz, welches sich im Wasser auflöste; dem Affen ging es noch schlimmer, denn er legte seine Matte auf die Zweige eines Baumes, und als seine Kinder darauf tanzen wollten, stürzten sie hinab und wurden zerschmettert. Voll Rachedurst gingen beide hin, um sich an dem Fuchse zu rächen, dieser aber merkte es, kaute eine Menge der erbeuteten Bohnen und beschmierte mit dem Brei seinen ganzen Leib; darauf legte er sich hin und stellte sich sehr krank. Als die beiden andern kamen, winselte er und sagte, er sei für seine Untreue an ihnen schon bestraft und müsse an einer schweren Ausschlagskrankheit sterben. Er bat sie nur, ihn ruhig verscheiden zu lassen. Abermals glaubten sie ihm, durch den Bohnenbrei getäuscht, und liessen ihn liegen, der Affe aber fühlte sich doch so unglücklich über den Verlust der Seinigen, dass er eilends über die Meerenge nach Japan hinüberzog; und das ist der Grund, weshalb es im Ainolande keine Affen gibt.

Wenn schon in den bisher erzählten Sagen und Märchen die vorhin erwähnten Züge einer moralischen Nutzanwendung und einer Strafe für Unrecht in gewisser Weise hervortreten, so ist dies in den folgenden beiden Märchen, von denen mindestens das zweite entschieden charakteristisch für die Aino ist, noch weit mehr der Fall. Ich lasse dieselben[WS 1] zum Schlusse ohne weiteren Kommentar folgen.


1. Der Mann im Monde.

Vor alters lebte ein Knabe, der weder Vater noch Mutter gehorchen mochte und so träge war, dass er nicht einmal Wasser für sie holen wollte. Einstmals war ihm befohlen, mit einem Kübel und einer Schöpfkelle zum Flusse zu gehen und das elterliche Haus mit Wasser zu versorgen. Er sass lange müssig da und hackte mit seinem Messer in den Kohlen der Feuerstelle herum; endlich erhob er sich, blieb aber an der Thür stehen und hackte an dem Pfosten, indem er sagte: Ach Du, ein Thürpfosten, brauchst kein Wasser zu holen! Am Flusse angelangt, sah er einen kleinen Fisch; auch diesem rief er zu: Ach, Du kleiner Grätenfisch, Du brauchst kein Wasser zu holen! Dann kam eine Lachsforelle; der rief er zu: O Du fetter Fisch, brauchst auch kein Wasser zu holen! Endlich kam ein grosser, grosser Lachs; zu dem sagte er: Wie geht es Dir, Herr Lachs? – Doch als er noch weiter reden wollte, packte ihn dieser, erhob sich bis über die Wolken und brachte ihn geradeswegs in den Mond. Er ist der Mann im Monde, den die Götter zur Warnung aller ungehorsamen Kinder dorthin versetzt haben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dieselbe
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_258.png&oldid=- (Version vom 8.4.2024)